Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Wandererwerbstätige. Soziale Sicherheit. Anzuwendende Rechtsvorschriften. Verordnung (EG) Nr. 987/2009. Art. 5, 6 und 16. A1-Bescheinigung. Unrichtigkeit von Angaben. Widerruf von Amts wegen. Verpflichtung des ausstellenden Trägers, ein Dialog- und Vermittlungsverfahren mit dem zuständigen Träger des Aufnahmemitgliedstaats einzuleiten. Fehlen

 

Normenkette

Verordnung (EG) Nr. 987/2009 Art. 5-6, 16

 

Beteiligte

Zakład Ubezpieczeń Społecznych Oddział w Toruniu

Zakład Ubezpieczeń Społecznych Oddział w Toruniu

TE

 

Tenor

Die Art. 5, 6 und 16 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 geänderten Fassung

sind dahin auszulegen, dass

der Träger, der eine A1-Bescheinigung ausgestellt hat und nach einer von Amts wegen durchgeführten Überprüfung der Angaben, die der Ausstellung der Bescheinigung zugrunde liegen, feststellt, dass diese Angaben unrichtig sind, die Bescheinigung widerrufen kann, ohne zuvor das in Art. 76 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in der durch die Verordnung Nr. 465/2012 geänderten Fassung vorgesehene Dialog- und Vermittlungsverfahren mit den zuständigen Trägern der betreffenden Mitgliedstaaten einzuleiten, um die anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften zu bestimmen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-422/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) mit Entscheidung vom 27. April 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juni 2022, in dem Verfahren

Zakład Ubezpieczeń Społecznych Oddział w Toruniu

gegen

TE

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin),

Generalanwalt: J. Richard de la Tour,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        des Zakład Ubezpieczeń Społecznych Oddział w Toruniu, vertreten durch J. Jaźwiec-Blecharczyk, Radca prawny,
  • –        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • –        der belgischen Regierung, vertreten durch S. Baeyens und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,
  • –        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
  • –        der französischen Regierung, vertreten durch R. Bénard und A. Daniel als Bevollmächtigte,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Brauhoff und D. Martin als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. Juni 2023

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 6 und 16 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2009, L 284, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 (ABl. 2012, L 149, S. 4) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 987/2009).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Zakład Ubezpieczeń Społecznych Oddział w Toruniu (Sozialversicherungsanstalt, Geschäftsstelle Toruń [Thorn], Polen) (im Folgenden: ZUS) und TE wegen der Entscheidung des ZUS, TE die A1-Bescheinigung zu entziehen, mit der bescheinigt wurde, dass er für die Zeit vom 22. August 2016 bis 21. August 2017 den polnischen Rechtsvorschriften zur sozialen Sicherheit unterlag.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 883/2004

Rz. 3

Titel II („Bestimmung des anwendbaren Rechts“) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt in ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung Nr. 465/2012 geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004) umfasst deren Art. 11 bis 16.

Rz. 4

Art. 11 der Verordnung Nr. 883/2004 sieht vor:

„(1)      Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(3)      Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a)      [E]ine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

…“

Rz. 5

Art. 13 („Ausübung von Tätigkeiten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten“) dieser Veror...

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