Entscheidungsstichwort (Thema)
Dienstleistungsfreiheit. Freier Warenverkehr. Diskriminierungsverbot. Maßnahme einer örtlichen Behörde, durch die der Zutritt zu Coffeeshops in den Niederlanden ansässigen Personen vorbehalten wird. Verkauf sogenannter ‚weicher’ Drogen. Verkauf von alkoholfreien Getränken und von Esswaren. Ziel der Bekämpfung des Drogentourismus und der damit einhergehenden Belästigungen. Öffentliche Ordnung. Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Kohärenz. Verhältnismäßigkeit
Beteiligte
Burgemeester van Maastricht |
Tenor
1. Der Inhaber eines Coffeeshops kann sich im Rahmen seiner Tätigkeit des Verkaufs von Betäubungsmitteln, die nicht unter den von den zuständigen Stellen streng überwachten Handel zur Verwendung für medizinische und wissenschaftliche Zwecke fällt, nicht auf die Art. 12 EG, 18 EG, 29 EG oder 49 EG berufen, um sich gegen eine kommunale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zu wehren, die es verbietet, nicht in den Niederlanden ansässigen Personen den Zutritt zu derartigen Einrichtungen zu gestatten. Hinsichtlich des Verkaufs von alkoholfreien Getränken und von Esswaren in diesen Einrichtungen kann er sich mit Erfolg auf die Art. 49 ff. EG berufen.
2. Art. 49 EG ist dahin auszulegen, dass eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende eine Beschränkung der im EG-Vertrag verankerten Dienstleistungsfreiheit darstellt. Diese Beschränkung ist jedoch durch das Ziel der Bekämpfung des Drogentourismus und der damit einhergehenden Belästigungen gerechtfertigt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Raad van State (Niederlande) mit Entscheidung vom 8. April 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 15. April 2009, in dem Verfahren
Marc Michel Josemans
gegen
Burgemeester van Maastricht
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, der Richter A. Arabadjiev, A. Rosas (Berichterstatter) und A. Ó Caoimh sowie der Richterin P. Lindh,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. April 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von M. Josemans, vertreten durch A. Beckers, advocaat,
- des Burgemeester van Maastricht, vertreten durch S. A. R. Lely, advocaat,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels, M. Noort und J. Langer als Bevollmächtigte,
- der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet und L. Goossens als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Möller als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch E. Belliard, G. de Bergues und A. Czubinski als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch H. van Vliet und I. Rogalski als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juli 2010
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 12 EG, 18 EG, 29 EG und 49 EG.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Josemans, dem Betreiber des Coffeeshops „Easy Going”, und dem Burgemeester van Maastricht (Bürgermeister der Gemeinde Maastricht) wegen der von Letzterem verfügten vorübergehenden Schließung dieses Coffeeshops, nachdem zweimal festgestellt worden war, dass unter Verstoß gegen die in der Gemeinde Maastricht geltenden Bestimmungen nicht in den Niederlanden wohnhaften Personen der Zutritt gestattet worden war.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Notwendigkeit der Bekämpfung von Drogen, insbesondere durch die Unterbindung des unerlaubten Drogenhandels sowie die Prävention des Konsums von Betäubungsmitteln und der Betäubungsmittelsucht, ist durch mehrere Handlungen und Instrumente der Union anerkannt worden.
Rz. 4
Nach dem ersten Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2004/757/JI des Rates vom 25. Oktober 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels (ABl. L 335, S. 8) stellt der illegale Drogenhandel eine Bedrohung der Gesundheit, Sicherheit und Lebensqualität der Bürger der Europäischen Union sowie der legalen Wirtschaftstätigkeit, der Stabilität und der Sicherheit der Mitgliedstaaten dar.
Rz. 5
Gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a des Rahmenbeschlusses 2004/757 trifft jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass folgende vorsätzliche Handlungen unter Strafe gestellt werden, wenn sie ohne entsprechende Berechtigung vorgenommen wurden: das Gewinnen, Herstellen, Ausziehen, Zubereiten, Anbieten, Feilhalten, Verteilen, Verkaufen, Liefern – gleichviel zu welchen Bedingungen –, Vermitteln, Versenden – auch im Transit –, Befördern, Einführen oder Ausführen von Drogen. In Art. 2 Abs. 2 wird klargestellt, dass die Handlungen nach Abs. 1 nicht in den Anwendungsbereich dieses Rahmenbeschlusses fallen, wenn die Täter sie ausschließ...