Entscheidungsstichwort (Thema)
Verordnung (EG) Nr. 562/2006. Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex). Mutmaßliche Verletzung des Anspruchs auf Achtung der Menschenwürde. Wirksamer Rechtsschutz. Recht auf Zugang zu einem Gericht
Beteiligte
Tenor
Die Mitgliedstaaten sind nach Art. 13 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) lediglich verpflichtet, einen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen vorzusehen, mit denen die Einreise in ihr Hoheitsgebiet verweigert wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Augstākās tiesas Senāts (Lettland) mit Entscheidung vom 11. Januar 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Januar 2012, in dem von
Mohamad Zakaria
eingeleiteten Verfahren erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter), E. Juhász, D. Šváby und C. Vajda,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kalniņš und I. Ņesterova als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Wils und A. Sauka als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie der Art. 6 Abs. 1 und 13 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 105, S. 1).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen der Prüfung einer Klage von Herrn Zakaria gegen die Zurückweisung einer Forderung auf Schadensersatz, die er wegen des Verhaltens einer Verwaltungsbehörde beim Überschreiten der lettischen Grenze geltend gemacht hat.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der 20. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 562/2006 lautet:
„Diese Verordnung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere in der [Charta] anerkannt sind. Sie sollte unter Beachtung der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten in den Bereichen internationaler Schutz und Nichtzurückweisung angewandt werden.”
Rz. 4
Art. 6 („Durchführung von Grenzübertrittskontrollen”) dieser Verordnung bestimmt:
„(1) Die Grenzschutzbeamten führen ihre Aufgaben unter uneingeschränkter Wahrung der Menschenwürde durch.
Die zur Durchführung ihrer Aufgaben getroffenen Maßnahmen müssen – gemessen an den damit verfolgten Zielen – verhältnismäßig sein.
(2) Bei der Durchführung der Grenzübertrittskontrollen dürfen die Grenzschutzbeamten Personen nicht aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung diskriminieren.”
Rz. 5
Art. 13 Abs. 3 der Verordnung lautet:
„Personen, denen die Einreise verweigert wird, steht ein Rechtsmittel zu. Die Verfahren für die Einlegung des Rechtsmittels bestimmen sich nach nationalem Recht. Dem Drittstaatsangehörigen werden auch schriftliche Angaben zu Kontaktstellen gemacht, die ihn über eine rechtliche Vertretung unterrichten können, die entsprechend dem nationalen Recht in seinem Namen vorgehen kann.
Die Einlegung eines solchen Rechtsmittels hat keine aufschiebende Wirkung im Hinblick auf die Entscheidung über die Einreiseverweigerung.
Wird im Rechtsmittelverfahren festgestellt, dass die Entscheidung über die Einreiseverweigerung unbegründet war, so hat der betreffende Drittstaatsangehörige unbeschadet einer nach nationalem Recht gewährten Entschädigung einen Anspruch auf Berichtigung des ungültig gemachten Einreisestempels und anderer Streichungen oder Vermerke durch den Mitgliedstaat, der ihm die Einreise verweigert hat.”
Das lettische Recht
Rz. 6
Art. 20 des Einwanderungsgesetzes (Imigracijas likums, Latvijas Vestnesis, 2002, Nr. 169, S. 2744) bestimmt:
„(1) Der Ausländer hat das Recht, gegen die die Einreise nach Lettland versagende Entscheidung binnen 30 Tagen nach ihrem Erlass bei der diplomatischen Vertretung eine Beschwerde einzulegen.
(2) Der Antrag im Sinne des Abs. 1 unterliegt der Überprüfung durch den Leiter der staatlichen Grenzschutzbehörde oder dem von diesem ermächtigten Beamten; die Entscheidung ist unanfechtbar.”
Rz. 7
Art. 76 Abs. 2 der Verwaltungsverfahrensordnung (Administrativa procesa likums, Latvijas Vestnesis, 2001, Nr. 164, S. 2551) sieht in seiner zum maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung vor:
„Gegen Verwaltungsakte kann bei der vorgesetzten Dienststelle eine Beschwerde eingelegt werden. Der Ministerrat ka...