Entscheidungsstichwort (Thema)
Öffentliche Aufträge. Richtlinie 93/37/EG. Vergabe ohne Ausschreibung. Zwischen zwei öffentlichen Auftraggebern geschlossene Vereinbarung zur Durchführung einer Raumordnungsmaßnahme. Begriffe ‚öffentlicher Bauauftrag’ und ‚Bauwerk’. Berechnung des Auftragswerts
Beteiligte
Tenor
1. Eine Vereinbarung, nach der ein erster öffentlicher Auftraggeber einem zweiten öffentlichen Auftraggeber die Errichtung eines Bauwerks überträgt, stellt einen öffentlichen Bauauftrag im Sinne von Art. 1 Buchst. a der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge in der durch die Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997 geänderten Fassung unabhängig davon dar, ob vorgesehen ist, dass der erste öffentliche Auftraggeber Eigentümer des gesamten Bauwerks oder eines Teils davon ist oder wird.
2. Zur Bestimmung des Wertes eines Bauauftrags im Sinne von Art. 6 der Richtlinie 93/37 in der durch die Richtlinie 97/52 geänderten Fassung ist der Gesamtwert des Bauauftrags aus der Perspektive eines potenziellen Bieters zu berücksichtigen, was nicht nur alle Beträge einschließt, die der öffentliche Auftraggeber zu zahlen hat, sondern auch alle Zahlungen von Dritten.
3. Ein öffentlicher Auftraggeber ist nicht davon befreit, die in der Richtlinie 93/37 in der durch die Richtlinie 97/52 geänderten Fassung vorgesehenen Verfahren zur Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen einzuhalten, auch wenn die in Rede stehende Vereinbarung nach nationalem Recht nur mit bestimmten juristischen Personen geschlossen werden kann, die selbst die Stellung eines öffentlichen Auftraggebers haben und ihrerseits gehalten sind, diese Verfahren für die Vergabe eventueller nachfolgender Aufträge durchzuführen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunal administratif de Lyon (Frankreich) mit Entscheidung vom 7. April 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Mai 2005, in dem Verfahren
Jean Auroux u. a.
gegen
Commune de Roanne,
andere Verfahrensbeteiligte:
Société d'équipement du département de la Loire (SEDL),
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter K. Lenaerts, E. Juhász (Berichterstatter), J. N. Cunha Rodrigues und M. Ilešič,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. April 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Auroux u. a., vertreten durch J. Antoine, avocat,
- der Commune de Roanne, vertreten durch P. Petit und C. Xavier, avocats,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J.-C. Niollet als Bevollmächtigte,
- der litauischen Regierung, vertreten durch D. Kriauciunas als Bevollmächtigten,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,
- der polnischen Regierung, vertreten durch T. Nowakowski als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch X. Lewis als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 15. Juni 2006
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199, S. 54) in der durch die Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997 (ABl. L 328, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen einer von Herrn Auroux und acht anderen Klägern (im Folgenden: Kläger des Ausgangsverfahrens) erhobenen Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses des Stadtrats der Stadt Roanne vom 28. Oktober 2002, mit dem der Bürgermeister ermächtigt wurde, mit der Société d'équipement du département de la Loire (im Folgenden: SEDL) einen Vertrag über die Errichtung eines Freizeitzentrums in Roanne zu unterzeichnen.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3 Der zweite Erwägungsgrund der Richtlinie lautet: „Die gleichzeitige Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge, die in den Mitgliedstaaten für Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften sowie sonstiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts vergeben werden, erfordert neben der Aufhebung der Beschränkungen eine Koordinierung der einzelstaatlichen Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge.”
4 Aus dem sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie ergibt sich, dass Bauaufträge von weniger als 5 Millionen Euro für den Wettbewerb, wie ihn die Richtlinie vorsieht, außer Acht gelassen werden können und daher nicht unter die Koordinierungsmaßnahmen fallen sollten.
5 Im zehnten Erwägungsgrund heißt es: „Damit auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens ein echter Wettbewe...