Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Werte und Ziele der Europäischen Union. Rechtsstaatlichkeit. Unabhängiges und unparteiisches Gericht. Neuorganisation der gerichtlichen Zuständigkeiten in einem Mitgliedstaat. Abschaffung eines spezialisierten Strafgerichts. Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens
Normenkette
EUV Art. 2, 19 Abs. 1 Unterabs. 2
Beteiligte
OT u.a. (Suppression d’un Tribunal) |
Tenor
Das Vorabentscheidungsersuchen, eingereicht vom Sofiyski gradski sad (Stadtgericht Sofia, Bulgarien) mit Entscheidung vom 28. September 2022, ist unzulässig.
Tatbestand
In der Rechtssache C-634/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sofiyski gradski sad (Stadtgericht Sofia, Bulgarien) mit Entscheidung vom 28. September 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Oktober 2022, in dem Strafverfahren gegen
OT,
PG,
CR,
VT,
MD,
Beteiligte:
Sofiyska gradska prokuratura,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Lycourgos (Berichterstatter), der Richterin O. Spineanu-Matei, der Richter J.-C. Bonichot und S. Rodin sowie der Richterin L. S. Rossi,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna und S. Żyrek als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann, E. Rousseva und P. J. O. Van Nuffel als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. November 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2, Art. 6 Abs. 1 und 3 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens, das gegen fünf Personen aufgrund von Taten eingeleitet worden war, die als organisierte Kriminalität eingestuft wurden.
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
§ 43 der Übergangs- und Schlussbestimmungen des Zakon za izmenenie i dopalnanie na Zakona za sadebnata vlast (Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gerichtsverfassungsgesetzes) (DV Nr. 32 vom 26. April 2022, im Folgenden: ZIDZSV) bestimmt:
„Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes werden der Spetsializiran nakazatelen sad [(Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien)], der Apelativen spetsializiran nakazatelen sad [(Spezialisiertes Strafberufungsgericht, Bulgarien)], die Spetsializirana prokuratura [(Spezialisierte Staatsanwaltschaft, Bulgarien)] und die Apelativna spetsializirana prokuratura [(Staatsanwaltschaft beim Spezialisierten Strafberufungsgericht, Bulgarien)] abgeschafft.“
Rz. 4
§ 44 dieser Übergangs- und Schlussbestimmungen lautet:
„(1) Die Richter des Spetsializiran nakazatelen sad [(Spezialisiertes Strafgericht)] und des Apelativen spetsializiran nakazatelen sad [(Spezialisiertes Strafberufungsgericht)] werden unter den Voraussetzungen und nach dem Verfahren des Art. 194 Abs. 1 versetzt.
(2) Innerhalb von 14 Tagen nach Verkündung dieses Gesetzes können die in Abs. 1 genannten Personen gegenüber dem Richterkollegium des Obersten Justizrats schriftlich erklären, dass sie an die Richterstelle zurückkehren möchten, die sie vor ihrer Ernennung zum Richter am Spetsializiran nakazatelen sad [(Spezialisiertes Strafgericht)] bzw. am Apelativen spetsializiran nakazatelen sad [(Spezialisiertes Strafberufungsgericht)] innehatten.
(3) Innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf der in Abs. 2 genannten Frist entscheidet das Richterkollegium des Obersten Justizrats über die Schaffung der Richterstellen an den Gerichten, die den im Spetsializiran nakazatelen sad [(Spezialisiertes Strafgericht)] und dem Apelativen spetsializiran nakazatelen sad [(Spezialisiertes Strafberufungsgericht)] abgeschafften Stellen entsprechen, wobei es die Arbeitsbelastung des jeweiligen Gerichts berücksichtigt. Höchstens ein Viertel der Richter des abgeschafften Spetsializiran nakazatelen sad [(Spezialisiertes Strafgericht)] und höchstens ein Drittel der Richter des abgeschafften Apelativen spetsializiran nakazatelen sad [(Spezialisiertes Strafberufungsgericht)] wird an ein und dasselbe Gericht versetzt.
(4) Nach Ablauf der in Abs. 3 vorgesehenen Frist nimmt das Richterkollegium des Obersten Justizrats die Versetzung der Richter ab Inkrafttreten dieses Gesetzes vor.
(5) Die in Abs. 4 genannten Entscheidungen des Richterkollegiums des Obersten Justizrats sind sofort vollstreckbar.“
Rz. 5
§ 49 der Übergangs- und Schlussbestimmungen sieht vor:
„Erstinstanzliche Strafverfahren vor dem Spetsializiran nakazatelen sad [(Spezialisiertes Strafgericht)], in denen vor Inkrafttreten dieses Gesetzes keine Vorverhandlung stattgefunden hat, werden innerhalb von sieben Tagen nach Inkrafttreten dieses Gesetzes an die zuständigen Gerichte verwiesen.“
Rz. 6
In § 50 der Übergangs- und Schlussbestimmun...