Entscheidungsstichwort (Thema)
Niederlassungsfreiheit. Richtlinie 98/5/EG. Ständige Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde. Voraussetzungen für die Eintragung bei der zuständigen Stelle des Aufnahmemitgliedstaats. Vorherige Überprüfung der Kenntnis der Sprachen des Aufnahmemitgliedstaats. Gerichtliches Rechtsmittel nach innerstaatlichem Recht
Beteiligte
Ordre des avocats du barreau de Luxembourg |
Tenor
1. Artikel 9 der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, ist dahin auszulegen, dass er einem Rechtsbehelfsverfahren entgegensteht, in dessen Rahmen die Entscheidung über die Verweigerung der in Artikel 3 der Richtlinie erwähnten Eintragung erstinstanzlich vor einem Organ, das ausschließlich aus Rechtsanwälten besteht, die unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats tätig sind, und zweitinstanzlich vor einem Organ angefochten werden muss, das mehrheitlich aus solchen Anwälten besteht, während die Kassationsbeschwerde zum höchsten Gericht dieses Mitgliedstaats lediglich eine rechtliche Überprüfung, nicht aber eine Überprüfung der Tatsachenfeststellungen ermöglicht.
2. Artikel 3 der Richtlinie 98/5 ist dahin auszulegen, dass die Eintragung eines Rechtsanwalts bei der zuständigen Stelle eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen, in dem er seine Berufsqualifikation erworben hat, zu dem Zweck, dort unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätig zu sein, nicht von einer vorherigen Überprüfung der Beherrschung der Sprachen des Aufnahmestaats abhängig gemacht werden kann.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht von der Cour administrative (Luxemburg) mit Entscheidung vom 7. Dezember 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Dezember 2004, in dem Verfahren
Graham J. Wilson
gegen
Ordre des avocats du barreau de Luxembourg
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans und A. Rosas sowie der Richter J.-P. Puissochet, R. Schintgen, K. Lenaerts (Berichterstatter), E. Juhász, E. Levits, A. Ó Caoimh und L. Bay Larsen,
Generalanwältin: C. Stix-Hackl,
Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. März 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen:
- von Herrn Wilson, vertreten durch L. Lorang, avocat, C. Vajda, QC, und V. Sloane, Barrister,
- des Ordre des avocats du barreau de Luxembourg, vertreten durch C. Ossola und C. Kaufhold, avocats,
- der luxemburgischen Regierung, vertreten durch S. Schreiner als Bevollmächtigten im Beistand von L. Dupong, avocat,
- der französischen Regierung, vertreten durch C. Bergeot-Nunes und G. de Bergues als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von A. Cingolo, avvocato dello Stato,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Caudwell als Bevollmächtigte im Beistand von M. Demetriou, Barrister,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Bordes und H. Støvlbæk als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 11. Mai 2006
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsverfahren betrifft die Auslegung der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde (ABl. L 77, S. 36).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, dem die Weigerung des Conseil de l'ordre des avocats du barreau de Luxembourg (Vorstand der Rechtsanwaltskammer Luxemburg, im Folgenden: Conseil de l'ordre) zugrunde liegt, Herrn Wilson, einen Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs, in das Anwaltsverzeichnis der Rechtsanwaltskammer Luxemburg einzutragen.
Rechtlicher Rahmen
Richtlinie 98/5
3 Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie lautet:
„Jeder Rechtsanwalt hat das Recht, die in Artikel 5 genannten Anwaltstätigkeiten auf Dauer in jedem anderen Mitgliedstaat unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung auszuüben.”
4 Artikel 3 der Richtlinie 98/5 trägt die Überschrift „Eintragung bei der zuständigen Stelle” und bestimmt:
„(1) Jeder Rechtsanwalt, der seinen Beruf in einem anderen Mitgliedstaat ausüben möchte als dem, in dem er seine Berufsqualifikation erworben hat, hat sich bei der zuständigen Stelle dieses Mitgliedstaats eintragen zu lassen.
(2) Die zuständige Stelle des Aufnahmestaats nimmt die Eintragung des Rechtsanwalts anhand einer Bescheinigung über dessen Eintragung bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats vor. Sie kann verlangen, dass diese von der zuständigen Stelle des Herkun...