Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern. Hypothekardarlehensvertrag. Hypothekenvollstreckungsverfahren. Neubewertung der Immobilie vor ihrer Versteigerung. Gültigkeit des Vollstreckungstitels. Angemessene und wirksame Mittel gegen unlautere Geschäftspraktiken. Verbot der Beurteilung des Bestehens unlauterer Geschäftspraktiken für das nationale Gericht. Unmöglichkeit einer Aussetzung des Hypothekenvollstreckungsverfahrens. Verhaltenskodex. Fehlende rechtliche Bindungswirkung dieses Kodex
Normenkette
Richtlinie 2005/29/EG Art. 11, 2, 10
Beteiligte
María de la Concepción Marí Merino |
Tenor
1. Art. 11 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie jener im Ausgangsverfahren nicht entgegensteht, die es dem Hypothekenvollstreckungsgericht verwehrt, von Amts wegen oder auf Parteiantrag die Gültigkeit des Vollstreckungstitels im Hinblick auf das Vorliegen unlauterer Geschäftspraktiken zu prüfen, und jedenfalls das für die Beurteilung des Bestehens solcher Praktiken zuständige Erkenntnisgericht daran hindert, vorläufige Maßnahmen wie die Aussetzung des Hypothekenvollstreckungsverfahrens zu erlassen.
2. Art. 11 der Richtlinie 2005/29 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die einem Verhaltenskodex wie jenen, die in Art. 10 dieser Richtlinie bezeichnet sind, keine rechtliche Bindungswirkung zuerkennt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de Primera Instancia n° 5 de Cartagena (Gericht erster Instanz Nr. 5 Cartagena, Spanien) mit Entscheidung vom 20. Februar 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 3. März 2017, in dem Verfahren
Bankia SA
gegen
Juan Carlos Marí Merino,
Juan Pérez Gavilán,
María de la Concepción Marí Merino
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs A. Tizzano (Berichterstatter) sowie der Richter E. Levits und A. Borg Barthet und der Richterin M. Berger,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Februar 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Bankia SA, vertreten durch J. M. Rodríguez Cárcamo und A. M. Rodríguez Conde, abogados,
- der spanischen Regierung, vertreten durch M. J. García-Valdecasas Dorrego als Bevollmächtigte,
- von Irland, vertreten durch A. Joyce, M. Browne und J. Quaney als Bevollmächtigte im Beistand von M. Gray, BL,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Rius, N. Ruiz García und A. Cleenewerck de Crayencour als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. März 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2005, L 149, S. 22).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Bankia SA einerseits und Juan Carlos Marí Merino, Juan Pérez Gavilán sowie María de la Concepción Marí Merino andererseits über ein Hypothekenvollstreckungsverfahren.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 93/13/EWG
Rz. 3
Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) sieht vor:
„Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Artikels 7 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.”
Rz. 4
Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage...