Entscheidungsstichwort (Thema)
Kartelle. Beherrschende Stellung. Vorlage zur Vorabentscheidung. Wettbewerb. Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen. Effektivitätsgrundsatz. Bindungswirkung bestandskräftiger Entscheidungen nationaler Wettbewerbsbehörden, mit denen eine Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften des Wettbewerbsrechts festgestellt wird. Zeitliche und sachliche Geltung. Schadensersatz- und Nichtigkeitsklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Union
Normenkette
AEUV Art. 101 Abs. 1-2; Verordnung (EG) Nr. 1/2003 Art. 2; Richtlinie 2014/104/EU Art. 9 Abs. 1
Beteiligte
Repsol Comercial de Productos Petrolíferos |
Repsol Comercial de Productos Petrolíferos SA |
Tenor
1.Art. 101 AEUV, wie er mit Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln durchgeführt wird, in Verbindung mit dem Effektivitätsgrundsatz ist dahin auszulegen, dass die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht, die in einer Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde festgestellt wurde, die vor den zuständigen nationalen Gerichten angefochten wurde, aber in Bestandskraft erwuchs, nachdem sie durch diese Gerichte bestätigt worden war, sowohl im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nach Art. 101 Abs. 2 AEUV als auch im Rahmen einer Schadensersatzklage wegen einer Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV bis zum Beweis des Gegenteils als durch den Kläger nachgewiesen gilt, wodurch die in diesem Art. 2 definierte Beweislast auf den Beklagten übergeht, sofern die Art der behaupteten Zuwiderhandlung, die den Gegenstand dieser Klagen bildet, sowie ihre sachliche, persönliche, zeitliche und räumliche Dimension mit Art und Dimension der in der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlung übereinstimmen.
2.Art. 101 AEUV ist dahin auszulegen, dass das nationale Gericht, sofern es einem Kläger gelingt, das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen diesen Artikel nachzuweisen, die Gegenstand seiner Nichtigkeitsklage nach Art. 101 Abs. 2 AEUV und seiner Schadensersatzklage wegen dieser Zuwiderhandlung ist, hieraus alle Konsequenzen ziehen und insbesondere gemäß Art. 101 Abs. 2 AEUV daraus ableiten muss, dass alle mit Art. 101 Abs. 1 AEUV unvereinbaren vertraglichen Bestimmungen nichtig sind; die gesamte Vereinbarung ist nur dann nichtig, wenn sich diese Teile nicht von den übrigen Teilen der Vereinbarung trennen lassen.
Tatbestand
In der Rechtssache C-25/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Mercantil n° 2 de Madrid (Handelsgericht Nr. 2 Madrid, Spanien) mit Entscheidung vom 30. November 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Januar 2021, in dem Verfahren
ZA,
AZ,
BX,
CV,
DU,
ET
gegen
Repsol Comercial de Productos Petrolíferos SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), der Richter P. G. Xuereb, A. Kumin und N. Wahl sowie der Richterin I. Ziemele,
Generalanwalt: G. Pitruzzella,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. Mai 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von ZA, AZ, BX, CV, DU und ET, vertreten durch A. Hernández Pardo, I. Sobrepera Millet und L. Ruiz Ezquerra, Abogados,
- – der Repsol Comercial de Productos Petrolíferos SA, vertreten durch M. P. Arévalo Nieto, Á. Requeijo Pascua und M. Villarrubia García, Abogados,
- – der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz als Bevollmächtigten,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Jimeno Fernández und C. Urraca Caviedes als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. September 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 Abs. 2 AEUV und Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen ZA, AZ, BX, CV, DU und ET (im Folgenden zusammen: Erben von KN) auf der einen und der Repsol Comercial de Productos Petrolíferos SA (im Folgenden: Repsol) auf der anderen Seite wegen von den Erben von KN angestrengter Klagen, mit denen die Nichtigkeit der zwischen ihnen und Repsol geschlossenen Verträge sowie Ersatz für die Schäden begehrt wird, die durch diese Verträge verursacht worden sein sollen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 1/2003
Rz. 3
Art. 2 („Beweislast“) der Verordnung Nr. 1/2003 bestimmt:
„In allen einzelstaatlichen und gemeinschaftlichen Verfahren zur Anwendung der Artikel [101 und 102 AEUV] obliegt die Beweislast für eine Zuwiderhandlung gegen Artikel [101] Absatz 1 oder Artikel [102 AEUV] der Partei oder der Behörde, die diesen Vorwurf erhebt. Die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des Artikels [101] Absatz ...