Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr. Einziehung von Forderungen, die von Unternehmen an ein Inkassounternehmen abgetreten wurden, gegenüber einer öffentlichen Stelle. Entschädigung für Beitreibungskosten, die dem Gläubiger im Fall eines Zahlungsverzugs des Schuldners entstanden sind. Pauschaler Mindestbetrag von 40 Euro. Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen. Verfahren zur Feststellung der Übereinstimmung der Waren und Dienstleistungen. Zahlungsfrist. Begriff ‚fälliger Betrag’. Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei der Berechnung der Verzugszinsen
Normenkette
Richtlinie 2011/7/EU Art. 6, 4, 2 Nr. 8
Beteiligte
Gerencia Regional de Salud de la Junta de Castilla y León |
Tenor
1. Art. 6 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr
ist wie folgt auszulegen:
Der pauschale Mindestbetrag von 40 Euro als Entschädigung des Gläubigers für die infolge eines Zahlungsverzugs des Schuldners entstandenen Beitreibungskosten fällt für jeden Geschäftsvorgang an, der bei Fälligkeit nicht rechtzeitig entgolten wird und in einer Rechnung ausgewiesen ist, und zwar auch dann, wenn diese Rechnung zusammen mit anderen Rechnungen in einer einheitlichen Zahlungsaufforderung bei der Verwaltung oder vor Gericht eingereicht wird.
2. Art. 4 Abs. 3 bis 6 der Richtlinie 2011/7
ist wie folgt auszulegen:
Er steht einer nationalen Regelung entgegen, wonach pauschal für sämtliche Geschäftsvorgänge zwischen Unternehmen und öffentlichen Stellen eine Zahlungsfrist von höchstens 60 Kalendertagen gilt, und zwar auch dann, wenn sich diese Frist aus einer anfänglichen Frist von 30 Tagen für ein Abnahme- oder Überprüfungsverfahren, das die Übereinstimmung der gelieferten Waren oder erbrachten Dienstleistungen mit dem Vertrag feststellt, gefolgt von einer zusätzlichen Frist von 30 Tagen für die Zahlung des vereinbarten Preises zusammensetzt.
3. Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2011/7
ist wie folgt auszulegen:
Für die Frage, ob die in der Rechnung oder einer gleichwertigen Zahlungsaufforderung aufgeführte Mehrwertsteuer in den in dieser Bestimmung definierten „fälligen Betrag” einzubeziehen ist, kommt es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige diesen Mehrwertsteuerbetrag zu dem Zeitpunkt, zu dem der Zahlungsverzug eintritt, bereits an die Staatskasse abgeführt hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de lo Contencioso-Administrativo n(o) 2 de Valladolid (Zentrales Verwaltungsgericht Nr. 2 Valladolid, Spanien) mit Entscheidung vom 22. September 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 5. November 2020, in dem Verfahren
BFF Finance Iberia SAU
gegen
Gerencia Regional de Salud de la Junta de Castilla y León
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra (Berichterstatter), N. Jääskinen und M. Gavalec,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Gerencia Regional de Salud de la Junta de Castilla y León, vertreten durch D. Vélez Berzosa und M. L. Vidueira Pérez als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García und M. J. Ruiz Sánchez als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara, M. Jáuregui Gómez und P. Ondrůšek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. April 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2, Art. 4 Abs. 1, Art. 6 sowie Art. 7 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. 2011, L 48, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der BFF Finance Iberia SAU (im Folgenden: BFF) und der Gerencia regional de Salud de la Junta de Castilla y León (Regionale Gesundheitsdirektion von Kastilien und León, Spanien) (im Folgenden: Regionalbehörde). Gegenstand dieses Rechtsstreits ist die Beitreibung von Entgeltforderungen durch BFF gegenüber der Regionalbehörde, die als Gegenleistung für die Lieferung von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen durch 21 Unternehmen an Gesundheitszentren, die mit der Regionalbehörde verbunden sind, geschuldet werden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2011/7
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 3, 9, 17 bis 19, 23 und 26 der Richtlinie 2011/7 heißt es:
„(3) Viele Zahlungen im Geschäftsverkehr zwischen Wirtschaftsteilnehmern einerseits und zwischen Wirtschaftsteilnehmern und öffentlichen Stellen andererseits werden später als zum vertraglich vereinbarten oder in den allgemeinen Geschäftsbedingungen festgelegten Zeitpunkt getätigt. Trotz Lieferung der Waren oder Erbri...