Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Straßenverkehr. Ruhezeiten des Fahrers. Möglichkeit, die nicht am Standort eingelegten täglichen Ruhezeiten und reduzierten wöchentlichen Ruhezeiten im Fahrzeug zu verbringen. Ausschluss der regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeiten
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 561/2006 Art. 8 Abs. 6, 8
Beteiligte
Tenor
1. Art. 8 Abs. 6 und 8 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates ist dahin auszulegen, dass ein Fahrer die regelmäßigen wöchentlichen Ruhezeiten im Sinne von Art. 8 Abs. 6 dieser Verordnung nicht in seinem Fahrzeug verbringen darf.
2. Die Prüfung der zweiten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Verordnung Nr. 561/2006 im Hinblick auf den in Art. 49 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Strafrecht beeinträchtigen könnte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Raad van State (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 4. Februar 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Februar 2016, in dem Verfahren
Vaditrans BVBA
gegen
Belgische Staat
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Levits sowie der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) und des Richters F. Biltgen,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Vaditrans BVBA, vertreten durch F. Vanden Bogaerde, advocaat,
- der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck und J. Van Holm als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und A. Lippstreu als Bevollmächtigte,
- der estnischen Regierung, vertreten durch K. Kraavi-Käerdi als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch V. Ester Casas als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch R. Coesme und D. Colas als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
- des Europäischen Parlaments, vertreten durch L. G. Knudsen, M. Menegatti und R. van de Westelaken als Bevollmächtigte,
- des Rates der Europäischen Union, vertreten durch R. Wiemann und K. Michoel als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Hottiaux und F. Wilman als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Februar 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 8 Abs. 8 der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 zur Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3821/85 und (EG) Nr. 2135/98 des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates (ABl. 2006, L 102, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Vaditrans BVBA und dem Belgische Staat (Belgischer Staat) über die Nichtigerklärung des Koninklijk besluit tot wijziging van het koninklijk besluit van 19 juli 2000 betreffende de inning en de consignatie van een som bij het vaststellen van sommige inbreuken inzage het vervoer over de weg (Königlicher Erlass zur Änderung des Königlichen Erlasses vom 19. Juli 2000 über die Erhebung und die Hinterlegung eines Geldbetrags bei der Feststellung bestimmter Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr) vom 19. April 2014 (Belgisches Staatsblatt vom 11. Juni 2014, S. 44159) (im Folgenden: Königlicher Erlass vom 19. April 2014), der u. a. eine Sanktion von 1 800 Euro vorsieht, die von Lastkraftfahrern zu zahlen ist, die ihre verpflichtend einzuhaltende wöchentliche Ruhezeit in ihrem Fahrzeug und nicht an einem anderen Ort verbringen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 1, 17, 26 und 27 der Verordnung Nr. 561/2006 lauten:
„(1) Durch die Verordnung (EWG) Nr. 3820/85 des Rates vom 20. Dezember 1985 über die Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr [(ABl. 1985, L 370, S. 1)] sollten die Wettbewerbsbedingungen zwischen Binnenverkehrsträgern, insbesondere im Straßenverkehrsgewerbe, harmonisiert und die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit im Straßenverkehr verbessert werden. Die in diesen Bereichen erzielten Fortschritte sollten gewahrt und ausgebaut werden.
…
(17) Mit dieser Verordnung sollen die sozialen Bedingungen für die von ihr erfassten Arbeitnehmer sowie die allgemeine Straßenverkehrssicherheit verbessert werden. Dazu dienen insbesondere die Bestimmungen über die maximale Lenkzeit pro Tag, pro Woche und pro Zeitraum von zwei aufeinander folgenden Wochen, die Bestimmung über die Verpflichtung der Fahrer, mindestens einmal in jede...