Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsverletzung. Freier Dienstleistungsverkehr. Bedingungen des Aufnahmemitgliedstaats für Unternehmen, die Arbeitnehmer mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats in diesen Mitgliedstaat entsenden
Beteiligte
Kommission der Europäischen Gemeinschaften |
Tenor
1. Das Großherzogtum Luxemburg hat dadurch, dass es von Dienstleistungserbringern mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, die Arbeitnehmer mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats nach Luxemburg entsenden möchten, das Vorliegen einer individuellen Arbeitserlaubnis, deren Erteilung von Erwägungen abhängt, die mit dem Arbeitsmarkt zusammenhängen, oder einer kollektiven Arbeitserlaubnis verlangt, die nur in Ausnahmefällen und auch nur dann erteilt wird, wenn die betreffenden Arbeitnehmer bei Beginn ihrer Entsendung seit mindestens sechs Monaten durch unbefristete Arbeitsverträge mit dem entsendenden Unternehmen verbunden sind, und dadurch, dass es von diesen Dienstleistungserbringern eine Bankbürgschaft fordert, gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 49 EG verstoßen.
2. Das Großherzogtum Luxemburg trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG,
eingegangen am 21. Oktober 2003,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Patakia als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Großherzogtum Luxemburg, vertreten durch S. Schreiner als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt A. Rukavina,
Beklagter,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann, der Richter K. Lenaerts (Berichterstatter), K. Schiemann, E. Juhász und M. Ilešič,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer, Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juli 2004,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1
Die Kommission begehrt mit ihrer Klage vom Gerichtshof die Feststellung, dass das Großherzogtum Luxemburg dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 49 EG verstoßen hat, dass es
- von einem Dienstleistungserbringer mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, der seine aus legal in diesem anderen Mitgliedstaat wohnenden und arbeitenden Staatsangehörigen eines Drittstaats bestehende Belegschaft entsenden möchte, das Vorliegen einer individuellen oder kollektiven Arbeitserlaubnis verlangt, deren Erteilung von Erwägungen, die mit dem Arbeitsmarkt zusammenhängen, sowie vom Bestehen eines unbefristeten Vertrages und einer vorhergehenden Beschäftigung bei diesem Dienstleistungserbringer seit mindestens sechs Monaten abhängt;
- von diesem Dienstleistungserbringer eine Bankbürgschaft in Höhe von mindestens 60 000 LUF (1 487 Euro) verlangt.
Nationaler rechtlicher Rahmen
2
Die Großherzogliche Verordnung vom 12. Mai 1972 mit Vorschriften für die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer im Großherzogtum Luxemburg (Mémorial A 1972, S. 945) in der durch die Großherzogliche Verordnung vom 17. Juni 1994 (Mémorial A 1994, S. 1034) geänderten Fassung (im Folgenden: Großherzogliche Verordnung vom 12. Mai 1972) bestimmt in Artikel 1 Absätze 1 und 4:
„Unbeschadet der Bestimmungen über die Einreise in das Großherzogtum Luxemburg und den Aufenthalt im Großherzogtum Luxemburg darf kein Ausländer in Luxemburg ohne Genehmigung nach den Bestimmungen dieser Verordnung einer Beschäftigung als körperlich oder geistig tätiger Arbeitnehmer nachgehen.
…
Die Bestimmungen dieser Verordnung gelten nicht für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind.”
3
Gemäß Artikel 2 der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 wird die Genehmigung im Sinne von Artikel 1 dem Arbeitnehmer vom Minister für Arbeit oder seinem Vertreter in Form einer Arbeitserlaubnis erteilt, die zu einer der dort aufgeführten vier Klassen gehört.
4
Artikel 4 Absätze 1, 2, 5 und 6 der Großherzoglichen Verordnung vom 12. Mai 1972 sieht vor:
„Kein Arbeitgeber darf einen ausländischen Arbeitnehmer ohne gültige Arbeitserlaubnis und ohne vorherige Anzeige der zu besetzenden Stelle an das Nationale Arbeitsamt beschäftigen.
Diese in zweifacher Ausfertigung einzureichende, vom Arbeitnehmer ordnungsgemäß gegengezeichnete Anzeige gilt als Antrag auf Erteilung oder Erneuerung der Arbeitserlaubnis, wenn der Arbeitnehmer noch keine Arbeitserlaubnis besitzt, seine Arbeitserlaubnis abgelaufen ist oder seine Arbeitserlaubnis nur für einen bestimmten Arbeitgeber und einen bestimmten Beruf gilt.
…
Das Nationale Arbeitsamt erteilt dem betroffenen Arbeitnehmer eine Eingangsbestätigung über den gemäß Absatz 2 eingereichten Antrag. Die Eingangsbestätigung gilt als vorläufige Arbeitserlaubnis. Eine Abschrift hiervon wird dem Arbeitgeber zugeleitet.
Wird die Arbeitserlaubnis abgelehnt, so wird die vorübergehende Arbeitserlaubnis ohne weiteres ungültig.”
5
Artikel 8 der Großherzogl...