Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Handelspolitik. Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte. Restriktive Maßnahmen der Vereinigten Staaten von Amerika gegen Iran. Von diesem Drittland verhängte Sekundärsanktionen, die Personen davon abhalten, außerhalb dessen Hoheitsgebiet Geschäftsbeziehungen zu iranischen Unternehmen zu unterhalten. Verbot der Einhaltung solcher Rechtsakte. Ausübung eines Rechts zur ordentlichen Kündigung
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 2271/96
Beteiligte
Tenor
1. Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen in der durch die Verordnung (EU) Nr. 37/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Januar 2014 und die Delegierte Verordnung (EU) 2018/1100 der Kommission vom 6. Juni 2018 zur Änderung des Anhangs der Verordnung Nr. 2271/96 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass darin den von Art. 11 dieser Verordnung erfassten Personen auch dann untersagt wird, den in den im Anhang dieser Verordnung aufgeführten Gesetzen vorgesehenen Forderungen oder Verboten nachzukommen, wenn seitens der Verwaltungs- oder Justizbehörden der Drittländer, die diese Gesetze erlassen haben, keine Weisung zu deren Einhaltung vorliegt.
2. Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2271/96 in der durch die Verordnung Nr. 37/2014 und die Delegierte Verordnung 2018/1100 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es einer von Art. 11 der Verordnung in geänderter Fassung erfassten Person, die nicht über eine Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung in geänderter Fassung verfügt, nicht verwehrt, Verträge mit einer Person, die in der „Liste der besonders benannten Staatsangehörigen und gesperrten Personen” (Specially Designated Nationals and Blocked Persons List) aufgeführt ist, ohne Angabe von Gründen zu kündigen. Wenn alle Beweismittel, über die das nationale Gericht verfügt, auf den ersten Blick darauf hindeuten, dass eine von Art. 11 der Verordnung Nr. 2271/96 in geänderter Fassung erfasste Person den im Anhang dieser Verordnung in geänderter Fassung aufgeführten Gesetzen nachgekommen ist, ohne insoweit über eine Genehmigung zu verfügen, verlangt Art. 5 Abs. 1 der Verordnung in geänderter Fassung allerdings, dass es im Rahmen eines Zivilprozesses über einen behaupteten Verstoß gegen die in dieser Bestimmung vorgesehenen Anforderungen ebendieser Person obliegt, rechtlich hinreichend nachzuweisen, dass ihr Verhalten nicht darauf abzielte, diesen Gesetzen nachzukommen.
3. Die Verordnung Nr. 2271/96 in der durch die Verordnung Nr. 37/2014 und die Delegierte Verordnung Nr. 2018/1100 geänderten Fassung, insbesondere ihre Art. 5 und 9, ist im Licht von Art. 16 und Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie der Feststellung der Unwirksamkeit einer Kündigung von Verträgen nicht entgegensteht, die durch eine von Art. 11 der Verordnung in geänderter Fassung erfasste Person zur Befolgung von Forderungen oder Verboten, die auf den im Anhang der Verordnung in geänderter Fassung aufgeführten Gesetzen beruhen, erklärt wurde, obgleich sie nicht über eine Genehmigung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung in geänderter Fassung verfügt, soweit die Feststellung der Unwirksamkeit für diese Person keine in Anbetracht der Ziele der Verordnung in geänderter Fassung, die bestehende Rechtsordnung und die Interessen der Europäischen Union im Allgemeinen zu schützen, unverhältnismäßigen Auswirkungen hat. Bei dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung ist die Verfolgung dieser Ziele, der mit der Feststellung der Unwirksamkeit einer gegen das in Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung in geänderter Fassung vorgesehene Verbot verstoßenden Vertragskündigung gedient wird, gegen die Wahrscheinlichkeit abzuwägen, dass die betroffene Person wirtschaftlichen Verlusten ausgesetzt wird, sowie gegen deren Ausmaß für den Fall, dass sie die Geschäftsverbindung mit einer Person nicht beenden darf, gegen die sich die Sekundärsanktionen richten, die sich aus den im Anhang dieser Verordnung in geänderter Fassung aufgeführten Gesetzen ergeben.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 2. März 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 5. März 2020, in dem Verfahren
Bank Melli Iran
gegen
Telekom Deutschland GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, der Kammerpräsidentinnen A. Prechal und K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, E. Regan, S. Rodin (Berichterstatter) und N. Jääskinen, der Kammerpräsidentin I. Ziemele, des Kammerpräsidenten J. Passer sowi...