Leitsatz (amtlich)
Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Anwendung von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen (ABl. L. 309 vom 29. November 1996, Seite 1) in der Fassung der Delegierten Verordnung (EU) 2018/1100 der Kommission vom 6. Juni 2018 (ABl. L. 199 I vom 7. August 2018, Seite 1)
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates vom 22. November 1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen (ABl. L. 309 vom 29. November 1996, Seite 1) in der Fassung der Delegierten Verordnung (EU) 2018/1100 der Kommission vom 6. Juni 2018 (ABl. L. 199 I vom 7. August 2018, Seite 1) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Findet Art. 5 Abs. 1 VO nur dann Anwendung, wenn an den handelnden EU-Wirtschaftsteilnehmer im Sinne von Art. 11 VO seitens der Vereinigten Staaten von Amerika direkt oder indirekt behördliche oder gerichtliche Anweisungen ergangen sind, oder genügt es für die Anwendung, dass das Handeln des EU-Wirtschaftsteilnehmers auch ohne solche Anweisungen darauf gerichtet ist, Sekundärsanktionen zu befolgen?
2. Sollte der Gerichtshof Frage 1 im Sinne der zweiten Alternative beantworten: Steht Art. 5 Abs. 1 VO einem Verständnis des nationalen Rechts dahin entgegen, dass es dem Kündigenden möglich ist, auch jedwede Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses mit einem Vertragspartner, der vom us-amerikanischen Office of Foreign Assets Control (OFAC) auf der Specially-Designated-Nationals-Liste (SDN) geführt wird - und damit auch eine Kündigung mit der Motivation, US-Sanktionen zu befolgen - auszusprechen, ohne dass es hierfür eines Kündigungsgrundes bedürfte und deshalb ohne dass er in einem Zivilprozess darzulegen und zu beweisen hätte, dass der Grund für den Ausspruch der Kündigung jedenfalls nicht sei, US-Sanktionen zu befolgen?
3. Sollte der Gerichtshof Frage 2 bejahen: Ist eine ordentliche Kündigung, die gegen Art. 5 Abs. 1 VO verstößt, zwingend als unwirksam anzusehen, oder ist dem Zweck der Verordnung auch mit anderen Sanktionen, beispielsweise der Verhängung eines Bußgeldes, genügt?
4. Sollte der Gerichtshof Frage 3 im Sinne der ersten Alternative beantworten: Gilt dies in Ansehung von Art. 16 und Art. 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf der einen und der Möglichkeit der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen nach Art. 5 Abs. 2 VO auf der anderen Seite auch dann, wenn dem EU-Wirtschaftsteilnehmer mit der Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung zum gelisteten Vertragspartner erhebliche wirtschaftliche Verluste auf dem US-Markt drohen (hier: 50 Prozent des Konzernumsatzes)?
Gründe
I. Die Klägerin ist eine iranische Bank, errichtet nach iranischem Recht, und unterhält in Deutschland eine Zweigniederlassung mit Sitz in Hamburg, in der 36 Mitarbeiter beschäftigt sind. Das Kerngeschäft der Klägerin ist die Abwicklung des Außenhandels mit dem Iran.
Die Beklagte ist eine Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom AG und eines der größten deutschen Telekommunikationsdienstleistungsunternehmen mit Sitz in Bonn. Der Konzern beschäftigt weltweit mehr als 270.000 Mitarbeiter, mehr als 50.000 davon in den USA, wo ca. 50 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet werden.
Zwischen den Parteien besteht ein Rahmenvertragsverhältnis, das der Klägerin gestattet, alle Anschlüsse ihres Unternehmens an verschiedenen Standorten in Deutschland in einem Vertrag zusammenzufassen. Im Rahmen dieses Vertragsverhältnisses hat die Klägerin mehrere Produkte bei der Beklagten beauftragt, welche die Beklagte sodann auch bereit und in Rechnung gestellt hat. Diese Verträge bilden die ausschließliche Grundlage der internen und externen Kommunikationsstrukturen der Klägerin in Deutschland. Ohne die von der Beklagten zu erbringenden Leistungen ist es der Klägerin - jedenfalls derzeit - nicht möglich, mittels ihrer deutschen Niederlassung am Geschäftsverkehr teilzunehmen.
Die mit der Klägerin erzielten monatlichen Umsätze der Beklagten belaufen sich auf etwas mehr als 2.000,00 Euro. Die Klägerin erfüllte gegenüber der Beklagten ihre Zahlungsverpflichtungen stets fristgerecht und vollständig.
Nachdem die USA im Jahr 2018 das Iran-Abkommen vom 14. Juli 2015 (Joint Comprehensive Plan of Action - JCPA) aufkündigten und damit die ursprünglichen Sanktionen (Iran Transactions and Sanctions Regulations - ITSR) wieder in Kraft traten, ist die Klägerin auf der Sanktionenliste (Specially Designated Nationals and Blocked Person List - SDN) der OFAC (Office of Foreign Assets Conntrol) gelistet. Teil des Sanktionsregimes sind sog. Sekundärsanktionen (secondary sanct...