Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Massenentlassungen. Entstehen einer Informations- und Konsultationspflicht. Zahl beabsichtigter oder tatsächlicher Entlassungen. Freiwillige Beendigung von Arbeitsverträgen vor einer Kündigung. Methode für die Berechnung der Zahl der Entlassungen
Normenkette
Richtlinie 98/59/EG Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1
Beteiligte
Resorts Mallorca Hotels International |
Resorts Mallorca Hotels International SL |
Tenor
Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen
ist dahin auszulegen, dass
die darin vorgesehene Konsultationspflicht zu dem Zeitpunkt entsteht, ab dem der Arbeitgeber im Rahmen eines Restrukturierungsplans eine Verringerung der Arbeitsplätze ins Auge fasst oder plant, deren Zahl die in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie festgelegten Schwellenwerte für den Abbau von Arbeitsplätzen überschreiten kann, und nicht zu dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber, nachdem er Maßnahmen zur Beschränkung dieser Zahl getroffen hat, die Gewissheit erlangt, dass er tatsächlich eine Zahl von Arbeitnehmern entlassen muss, die diese Schwellenwerte überschreitet.
Tatbestand
In der Rechtssache C-589/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Superior de Justicia de las Islas Baleares (Obergericht der Balearischen Inseln, Spanien) mit Entscheidung vom 29. August 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 23. September 2022, in dem Verfahren
J. L. O. G.,
J. J. O. P.
gegen
Resorts Mallorca Hotels International SL
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen (Berichterstatter) sowie des Richters N. Wahl und der Richterin M. L. Arastey Sahún,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von J. L. O. G. und J. J. O. P., vertreten durch J. L. Valdés Alias, Abogado,
- – der Resorts Mallorca Hotels International SL, vertreten durch M. Sánchez Rubio, Abogado,
- – der spanischen Regierung, vertreten durch I. Herranz Elizalde als Bevollmächtigten,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch I. Galindo Martín und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (ABl. 1998, L 225, S. 16).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen J. L. O. G. und J. J. O. P. einerseits und der Resorts Mallorca Hotels International SL andererseits über die Wirksamkeit ihrer Entlassung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 98/59 bestimmt:
„Für die Durchführung dieser Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
a) ‚Massenentlassungen‘ sind Entlassungen, die ein Arbeitgeber aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, vornimmt und bei denen – nach Wahl der Mitgliedstaaten – die Zahl der Entlassungen
i) entweder innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen
- – Mindestens 10 in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 100 Arbeitnehmern,
- – mindestens 10 v. H. der Arbeitnehmer in Betrieben mit in der Regel mindestens 100 und weniger als 300 Arbeitnehmern,
- – mindestens 30 in Betrieben mit in der Regel mindestens 300 Arbeitnehmern,
ii) oder innerhalb eines Zeitraums von 90 Tagen mindestens 20, und zwar unabhängig davon, wie viele Arbeitnehmer in der Regel in dem betreffenden Betrieb beschäftigt sind,
beträgt;
…
Für die Berechnung der Zahl der Entlassungen gemäß Absatz 1 Buchstabe a) werden diesen Entlassungen Beendigungen des Arbeitsvertrags gleichgestellt, die auf Veranlassung des Arbeitgebers und aus einem oder mehreren Gründen, die nicht in der Person der Arbeitnehmer liegen, erfolgen, sofern die Zahl der Entlassungen mindestens fünf beträgt.“
Rz. 4
Art. 2 in Teil II („Information und Konsultation“) der Richtlinie bestimmt:
„(1) Beabsichtigt ein Arbeitgeber, Massenentlassungen vorzunehmen, so hat er die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig zu konsultieren, um zu einer Einigung zu gelangen.
(2) Diese Konsultationen erstrecken sich zumindest auf die Möglichkeit, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken, sowie auf die Möglichkeit, ihre Folgen durch soziale Begleitmaßnahmen, die insbesondere Hilfen für eine anderweitige Verwendung oder Umschulung der entlassenen Arbeitnehmer zum Ziel haben, zu mildern.
…“
Spanisches Recht
Rz. 5
In Art. 51 („Massenentlassung“) des Estatuto de los Trabajadores (Arbeitnehmerstatut) in der Fassung des Real Decreto Legislativo 2/2015, por el que se aprueba el texto refundido...