Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Kartelle. Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Europäischen Union. Verjährungsfrist. Widerlegbare Schadensvermutung. Ermittlung des Schadensumfangs. Verspätete Umsetzung der Richtlinie. Zeitliche Geltung. Materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Vorschriften”
Normenkette
AEUV Art. 101; Richtlinie 2014/104/EU Art. 10, 17, 22
Beteiligte
Tenor
Art. 10 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er eine materiell-rechtliche Vorschrift im Sinne von Art. 22 Abs. 1 dieser Richtlinie darstellt und dass eine Schadensersatzklage in seinen zeitlichen Geltungsbereich fällt, die zwar eine vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie beendete Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betrifft, aber nach dem Inkrafttreten der Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erhoben wurde, soweit die für diese Klage nach den alten Vorschriften geltende Verjährungsfrist nicht vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie abgelaufen war.
Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 ist dahin auszulegen, dass er eine verfahrensrechtliche Vorschrift im Sinne von Art. 22 Abs. 2 dieser Richtlinie darstellt und dass eine Schadensersatzklage in seinen zeitlichen Geltungsbereich fällt, die zwar eine vor dem Inkrafttreten dieser Richtlinie beendete Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betrifft, aber nach dem 26. Dezember 2014 und nach dem Inkrafttreten der Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erhoben wurde.
Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 ist dahin auszulegen, dass er eine materiell-rechtliche Vorschrift im Sinne von Art. 22 Abs. 1 dieser Richtlinie darstellt und dass eine Schadensersatzklage nicht in seinen zeitlichen Geltungsbereich fällt, die zwar nach dem Inkrafttreten der Vorschriften zur verspäteten Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erhoben wurde, aber eine vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie beendete Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betrifft.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Audiencia Provincial de León (Provinzgericht Léon, Spanien) mit Entscheidung vom 12. Juni 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Juni 2020, in dem Verfahren
VolvoAB (publ.),
DAF Trucks NV
gegen
RM
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), der Richterin I. Ziemele sowie der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb und A. Kumin,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Volvo AB (publ.), vertreten durch N. Gómez Bernardo und R. Murillo Tapia, Abogados,
- der DAF Trucks NV, vertreten durch C. Gual Grau, Abogado, M. de Monchy und J. K. de Pree, Advocaten, sowie D. Sarmiento Ramírez-Escudero und P. Vidal Martínez, Abogados,
- von RM, vertreten durch M. Picón González, Procuradora, und I. San Primitivo Arias, Abogado,
- der spanischen Regierung, vertreten durch L. Aguilera Ruiz und S. Centeno Huerta als Bevollmächtigte,
- der estnischen Regierung, vertreten durch A. Kalbus als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch S. Baches Opi, M. Farley und G. Meessen als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Oktober 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 AEUV, Art. 10, 17 und 22 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349, S. 1) sowie des Effektivitätsgrundsatzes.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich die Volvo AB (publ.) und die DAF Trucks NV auf der einen Seite und RM auf der anderen Seite gegenüberstehen. Dem Rechtsstreit liegt eine von RM erhobene Klage auf Ersatz des Schadens zugrunde, der durch eine von der Europäischen Kommission festgestellte Zuwiderhandlung von mehreren Lkw-Herstellern, darunter Volvo und DAF Trucks, gegen Art. 101 AEUV entstanden sein soll.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der 47. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/104 lautet:
„Um die Informationsasymmetrie und einige der mit der Quantifizierung des Schadens in wettbewerbsrechtlichen Fällen verbundenen Schwierigkeiten zu beheben und um die wirksame Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zu gewährleisten, ist es angebracht zu vermuten, dass Zuwiderhandlunge...