Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeitsklage. Beitritt der Europäischen Union zur Genfer Akte des Lissabonner Abkommens über Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben. Ausschließliche Zuständigkeit der Union. Gemeinsame Handelspolitik. Handelsaspekte des geistigen Eigentums. Initiativrecht der Europäischen Kommission. Abänderung des Kommissionsvorschlags durch den Rat der Europäischen Union. Anwendbarkeit. Grundsätze der begrenzten Einzelermächtigung, des institutionellen Gleichgewichts und der loyalen Zusammenarbei
Normenkette
Beschluss (EU) 2019/1754; EUV Art. 4 Abs. 3, Art. 13 Abs. 2, Art. 17 Abs. 2; AEUV Art. 3 Abs. 1, Art. 207, 218 Abs. 6, Art. 293 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
Beteiligte
Rat der Europäischen Union |
Tenor
1. Art. 3 und, soweit er auf die Mitgliedstaaten Bezug nimmt, Art. 4 des Beschlusses (EU) 2019/1754 des Rates vom 7. Oktober 2019 über den Beitritt der Europäischen Union zur Genfer Akte des Lissabonner Abkommens über Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben werden für nichtig erklärt.
2. Die Wirkungen der für nichtig erklärten Teile des Beschlusses 2019/1754 werden nur insoweit, als sie Mitgliedstaaten betreffen, die zum Zeitpunkt der Verkündung des vorliegenden Urteils bereits von der in Art. 3 dieses Beschlusses vorgesehenen Ermächtigung Gebrauch gemacht haben, die Genfer Akte des Lissabonner Abkommens über Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben neben der Europäischen Union zu ratifizieren oder ihr beizutreten, und so lange aufrechterhalten, bis binnen angemessener Frist, die sechs Monate ab Verkündung des Urteils nicht überschreiten darf, ein neuer Beschluss des Rates der Europäischen Union in Kraft tritt.
3. Der Rat der Europäischen Union trägt die Kosten.
4. Das Königreich Belgien, die Tschechische Republik, die Hellenische Republik, die Französische Republik, die Republik Kroatien, die Italienische Republik, Ungarn, das Königreich der Niederlande, die Republik Österreich und die Portugiesische Republik tragen ihre eigenen Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 17. Januar 2020,
Europäische Kommission, vertreten zunächst durch F. Castillo de la Torre, I. Naglis und J. Norris, dann durch F. Castillo de la Torre, M. Konstantinidis und J. Norris als Bevollmächtigte,
Klägerin,
gegen
Rat der Europäischen Union, vertreten durch A. Antoniadis, M. Balta und A.-L. Meyer als Bevollmächtigte,
Beklagter,
unterstützt durch
Königreich Belgien, vertreten durch M. Jacobs, C. Pochet und M. Van Regemorter als Bevollmächtigte,
Tschechische Republik, vertreten durch K. Najmanová, H. Pešková, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
Hellenische Republik, vertreten durch K. Boskovits und M. Tassopoulou als Bevollmächtigte,
Französische Republik, vertreten durch G. Bain, J.-L. Carré, A.-L. Desjonquères und T. Stéhelin als Bevollmächtigte,
Republik Kroatien, vertreten durch G. Vidović Mesarek als Bevollmächtigte,
Italienische Republik, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, Avvocato dello Stato,
Ungarn, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,
Königreich der Niederlande, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,
Republik Österreich, vertreten durch A. Posch, E. Samoilova und J. Schmoll als Bevollmächtigte sowie durch H. Tichy,
PortugiesischeRepublik, zunächst vertreten durch P. Barros da Costa, L. Inez Fernandes, J. P. Palha und R. Solnado Cruz als Bevollmächtigte, dann durch P. Barros da Costa, J. P. Palha und R. Solnado Cruz als Bevollmächtigte,
Streithelfer,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentinnen A. Prechal und K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten M. Safjan und P. G. Xuereb, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi (Berichterstatterin), des Kammerpräsidenten D. Gratsias, der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún, der Richter S. Rodin, F. Biltgen und N. Piçarra, der Richterin I. Ziemele und des Richters J. Passer,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Februar 2022,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Mai 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrer Klage begehrt die Europäische Kommission die teilweise Nichtigerklärung des Beschlusses (EU) 2019/1754 des Rates vom 7. Oktober 2019 über den Beitritt der Europäischen Union zur Genfer Akte des Lissabonner Abkommens über Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben (ABl. 2019, L 271, S. 12, im Folgenden: angefochtener Beschluss).
I. Rechtlicher Rahmen
A. Völkerrecht
1. Pariser Verbandsübereinkunft
Rz. 2
Die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums wurde am 20. März 1883 in Paris unterzeichnet, zuletzt überarbeitet in Stockholm am 14. Juli 1967 und geändert am 28. September...