Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Wettbewerb. Freier Dienstleistungsverkehr. Festsetzung der Mindesthonorare durch einen Berufsverband der Rechtsanwälte. Verbot für ein Gericht, die Erstattung eines unter diesen Mindestbeträgen liegenden Honorarbetrags anzuordnen. Nationale Regelung, nach der die Mehrwertsteuer als Bestandteil des Preises einer in Ausübung eines freien Berufs erbrachten Dienstleistung angesehen wird

 

Beteiligte

CHEZ Elektro Bulgaria

„CHEZ Elektro Bulgaria” AD

„FrontEx International” ??D

Yordan Kotsev

Emil Yanakiev

 

Tenor

1. Art. 101 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung wie die in den Ausgangsverfahren fragliche, die es zum einen einem Rechtsanwalt und seinem Mandanten nicht erlaubt, eine Vergütung zu vereinbaren, die unter dem Mindestbetrag liegt, der durch eine von einem Berufsverband der Rechtsanwälte wie dem Vissh advokatski savet (Oberster Rat der Anwaltschaft, Bulgarien) erlassene Verordnung festgesetzt wurde, und widrigenfalls ein Disziplinarverfahren gegen den Rechtsanwalt vorsieht, und zum anderen es dem Gericht nicht gestattet, die Erstattung eines unter diesem Mindestbetrag liegenden Honorarbetrags anzuordnen, den Wettbewerb im Binnenmarkt im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV beeinträchtigen kann. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob eine solche Regelung in Anbetracht ihrer konkreten Anwendungsmodalitäten tatsächlich legitime Ziele verfolgt und die auf diese Weise auferlegten Beschränkungen auf das begrenzt sind, was notwendig ist, um die Umsetzung dieser legitimen Ziele sicherzustellen.

2. Art. 101 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV und der Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegensteht, nach der die nationalen Gerichte juristischen Personen und Einzelunternehmern Anwaltsgebühren zusprechen, falls sie von einem Justiziar vertreten werden.

3. Art. 78 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, nach der die Mehrwertsteuer als untrennbarer Bestandteil der Honorare registrierter Rechtsanwälte gilt, wenn das zur Folge hat, dass diese Honorare einer doppelten Mehrwertbesteuerung unterliegen.

 

Tatbestand

In den verbundenen Rechtssachen

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sofiyski rayonen sad (Kreisgericht Sofia, Bulgarien) mit Entscheidungen vom 26. April 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 1. August 2016, in den Verfahren

„CHEZ Elektro Bulgaria” AD

gegen

Yordan Kotsev (C-427/16)

und

„FrontEx International” ??D

gegen

Emil Yanakiev (C-428/16)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter C. G. Fernlund, J.-C. Bonichot, S. Rodin (Berichterstatter) und E. Regan,

Generalanwalt: N. Wahl,

Kanzler: M. Aleksejev, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juni 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der „CHEZ Elektro Bulgaria” AD, vertreten durch K. Kral und K. Stoyanova als Bevollmächtigte,
  • der „FrontEx International” EAD, vertreten durch A. Grilihes als Bevollmächtigten,
  • der zyprischen Regierung, vertreten durch D. Kalli als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Malferrari, I. Zaloguin und P. Mihaylova als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 56 Abs. 1 und 101 Abs. 1 AEUV sowie der Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (ABl. 1977, L 78, S. 17) und der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).

Rz. 2

Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der „CHEZ Elektro Bulgaria” AD und Herrn Yordan Kotsev (C-427/16) sowie zwischen der „FrontEx International” EAD und Herrn Emil Yanakiev (C-428/16) wegen Anträgen auf Erlass eines Mahnbescheids, die u. a. die Erstattung von Anwaltshonoraren und der Vergütung eines Justiziars betreffen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

Art. 78 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 sieht vor:

„In die Steuerbemessungsgrundlage sind folgende Elemente einzubeziehen:

a) Steuern, Zölle, Abschöpfungen und Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst;

…”

Rz. 4

Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 77/249 lautet:

„Diese Richtlinie gilt innerhalb der darin festgelegten Grenzen und u...

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