Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Qualität der Dolmetschleistungen und Übersetzungen. Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren. Recht auf Unterrichtung über den Tatvorwurf. Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen. Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht. Zulässigkeit. Rechtsmittel zur Wahrung des Rechts gegen eine Entscheidung, mit der die Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens beschlossen wird. Disziplinarverfahren. Befugnis des übergeordneten Gerichts, das Vorabentscheidungsersuchen für rechtswidrig zu erklären
Normenkette
AEUV Art. 267; Richtlinie (EU) 2016/343; Richtlinie 2012/13/EU Art. 4 Abs. 5, Art. 6 Abs. 1; Richtlinie 2010/64/EU Art. 5; EUV Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 48 Abs. 2
Beteiligte
Tenor
1. Art. 267 AEUV ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass das Höchstgericht eines Mitgliedstaats im Anschluss an ein Rechtsmittel zur Wahrung des Rechts die Rechtswidrigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens, mit dem der Gerichtshof von einem untergeordneten Gericht nach dieser Bestimmung befasst worden ist, feststellt, weil die vorgelegten Fragen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erheblich und erforderlich seien, ohne dass allerdings die Rechtswirkungen der dieses Ersuchen enthaltenden Entscheidung betroffen sind. Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verpflichtet dieses untergeordnete Gericht, eine solche Entscheidung des nationalen Höchstgerichts außer Acht zu lassen.
2. Art. 267 AEUV ist dahin auszulegen, dass er der Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen einen nationalen Richter entgegensteht, weil dieser den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV ersucht hat.
3. Art. 5 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren ist dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten verpflichtet, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die Qualität der zur Verfügung gestellten Dolmetschleistungen und Übersetzungen ausreicht, damit die verdächtige oder beschuldigte Person den gegen sie erhobenen Tatvorwurf verstehen kann und diese Dolmetschleistungen von den nationalen Gerichten überprüft werden können.
Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2010/64, Art. 4 Abs. 5 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren in Verbindung mit Art. 48 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass es ihnen zuwiderläuft, dass eine Person in Abwesenheit verurteilt wird, obwohl sie aufgrund einer unzureichenden Dolmetschleistung nicht in einer ihr verständlichen Sprache über den gegen sie erhobenen Tatvorwurf unterrichtet wurde, oder wenn die Qualität der zur Verfügung gestellten Dolmetschleistungen nicht ermittelt und somit nicht festgestellt werden kann, dass die Person in einer ihr verständlichen Sprache über den gegen sie erhobenen Tatvorwurf unterrichtet wurde.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Pesti Központi Kerületi Bíróság (Zentrales Stadtbezirksgericht Pest, Ungarn) mit Entscheidung vom 11. Juli 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Juli 2019, ergänzt mit Entscheidung vom 18. November 2019, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, in dem Strafverfahren gegen
IS
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, E. Regan, S. Rodin und I. Jarukaitis (Berichterstatter), der Richter J.-C. Bonichot, P. G. Xuereb und N. Piçarra, der Richterin L. S. Rossi sowie des Richters A. Kumin,
Generalanwalt: P. Pikamäe,
Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2021,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von IS, vertreten durch A. Pintér und B. Csire, ügyvédek,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und R. Kissné Berta als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, P. Huurnink und J. Langer als Bevollmächtigte,
- der schwedischen Regierung, zunächst vertreten durch H. Eklinder, C. Meyer-Seitz, H. Shev, J. Lundberg und A. Falk, dann durch O. Simonsson, H. Eklinder, C. Meyer-Seitz, H. Shev, J. Lundberg, M. Salborn Hodgson, A. M. Runeskjöld und R. Shahsavan Eriksson als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch A. Tokár, H. Krämer und R. Troosters, dann durch A. Tokár, M. Wasmeier und P. J. O. Van Nuffel, als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. April 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung...