Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Normen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus. Vater in Belgien geborener, als Flüchtlinge anerkannter minderjähriger Kinder. Antrag des Vaters auf Gewährung abgeleiteten internationalen Schutzes. Ablehnung. Keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dem Betroffenen einen Anspruch auf diesen Schutz zuzuerkennen, wenn er die Voraussetzungen für die Gewährung nicht selbst erfüllt. Unanwendbarkeit

 

Normenkette

EURL 95/2011 Art. 2 Buchst. j, Art. 23 Abs. 2

 

Beteiligte

Commissaire général aux réfugiés und aux apatrides (Unité familiale)

XXX

Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides

 

Tenor

Art. 23 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes

ist dahin auszulegen, dass

er die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, dem Elternteil eines in einem Mitgliedstaat als Flüchtling anerkannten Kindes einen Anspruch auf internationalen Schutz in diesem Mitgliedstaat zuzuerkennen.

 

Tatbestand

In der Rechtssache C-374/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 18. Mai 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Juni 2022, in dem Verfahren

XXX

gegen

Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer (Berichterstatter) sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        von XXX, vertreten durch S. Janssens, Avocate,
  • –        der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, C. Pochet und M. Van Regemorter als Bevollmächtigte,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Azéma und J. Hottiaux als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. April 2023

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. j und Art. 23 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen XXX, einem in Belgien wohnhaften guineischen Staatsangehörigen, und dem Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides (Generalkommissar für Flüchtlinge und Staatenlose, Belgien), wegen der Entscheidung, mit der dieser den von XXX in diesem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt hat.

Rechtlicher Rahmen

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 18, 19 und 38 der Richtlinie 2011/95 heißt es:

„(18)      Bei der Umsetzung dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem [am 20. November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen Übereinkommen über die Rechte des Kindes (United Nations Treaty Series, Bd. 1577, S. 3), das am 2. September 1990 in Kraft getreten ist] vorrangig das ‚Wohl des Kindes‘ berücksichtigen. Bei der Bewertung der Frage, was dem Wohl des Kindes dient, sollten die Mitgliedstaaten insbesondere dem Grundsatz des Familienverbands, dem Wohlergehen und der sozialen Entwicklung des Minderjährigen, Sicherheitsaspekten sowie dem Willen des Minderjährigen unter Berücksichtigung seines Alters und seiner Reife Rechnung tragen.

(19)      Der Begriff ‚Familienangehörige‘ muss ausgeweitet werden, wobei den unterschiedlichen besonderen Umständen der Abhängigkeit Rechnung zu tragen und das Wohl des Kindes besonders zu berücksichtigen ist.

(38)      Bei der Gewährung der Ansprüche auf die Leistungen gemäß dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten dem Wohl des Kindes sowie den besonderen Umständen der Abhängigkeit der nahen Angehörigen, die sich bereits in dem Mitgliedstaat aufhalten und die nicht Familienmitglieder der Person sind, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, von dieser Person Rechnung tragen. Unter außergewöhnlichen Umständen, wenn es sich bei dem nahen Angehörigen der Person, die Anspruch auf internationalen Schutz hat, um eine verheiratete minderjährige Person handelt, die nicht von ihrem Ehepartner begleitet wird, kann es als dem Wohl der minderjährigen Person dienlich angesehen werden, wenn diese in ihrer ursprünglichen Familie lebt.“

Rz. 4

In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie heißt es:

„Im Sinne dieser Ric...

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