Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Beginn des Bestimmungsverfahrens. Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz. Von den Behörden erstelltes Protokoll, das den zuständigen Behörden zugegangen ist. Fristen für die Stellung eines Aufnahmegesuchs. Übergang der Zuständigkeit auf einen anderen Mitgliedstaat. Rechtsbehelf. Umfang der gerichtlichen Kontrolle
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 604/2013 Art. 20; Verordnung (EU) Nr. 604/2013 Art. 21 Abs. 1; Verordnung (EU) Nr. 604/2013 Art. 27
Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
Tenor
1. Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine ihr gegenüber ergangene Überstellungsentscheidung auf den Ablauf einer in Art. 21 Abs. 1 der Verordnung genannten Frist berufen kann, wobei dies auch dann gilt, wenn der ersuchte Mitgliedstaat bereit ist, diese Person aufzunehmen.
2. Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass es nicht möglich ist, ein Aufnahmegesuch mehr als drei Monate nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz wirksam zu unterbreiten, auch wenn dies weniger als zwei Monate nach Erhalt einer Eurodac-Treffermeldung im Sinne dieser Vorschrift geschieht.
3. Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt gilt, wenn der mit der Durchführung der sich aus dieser Verordnung ergebenden Verpflichtungen betrauten Behörde ein Schriftstück zugegangen ist, das von einer Behörde erstellt wurde und bescheinigt, dass ein Drittstaatsangehöriger um internationalen Schutz ersucht hat, und, gegebenenfalls, wenn ihr nur die wichtigsten in einem solchen Schriftstück enthaltenen Informationen, nicht aber das Schriftstück oder eine Kopie davon, zugegangen sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Minden (Deutschland) mit Entscheidung vom 22. Dezember 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Dezember 2016, in dem Verfahren
Tsegezab Mengesteab
gegen
Bundesrepublik Deutschland
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič und L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richter E. Levits, J.-C. Bonichot und A. Arabadjiev, der Richterin C. Toader, der Richter M. Safjan, C. G. Fernlund, C. Vajda, S. Rodin und F. Biltgen sowie der Richterin K. Jürimäe,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. April 2017,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Mengesteab, vertreten durch Rechtsanwältin D. Ottembrino,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und M. M. Tátrai als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch C. Crane als Bevollmächtigte im Beistand von D. Blundell, Barrister,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und G. Wils als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 20. Juni 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 1, Art. 20 Abs. 2, Art. 21 Abs. 1 und Art. 22 Abs. 7 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31, im Folgenden: Dublin-III-Verordnung).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Tsegezab Mengesteab, einem eritreischen Staatsangehörigen, und der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt), wegen dessen Bescheid, mit dem der von Herrn Mengesteab gestellte Asylantrag abgelehnt, das Fehlen von Abschiebungsverboten festgestellt, seine Überstellung nach Italien angeordnet und ihm ein Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Dauer von sechs Monaten ab dem Tag der Abschiebung au...