Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsbehelfe. Wirksamer Rechtsschutz. Richterliche Unabhängigkeit. Kürzung der Bezüge im nationalen öffentlichen Dienst. Sparmaßnahmen
Normenkette
EUV Art. 19 Abs. 1; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47
Beteiligte
Associação Sindical dos Juízes Portugueses |
Associação Sindical dos Juízes Portugueses |
Tenor
Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist dahin auszulegen, dass es mit dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit vereinbar ist, wenn auf die Mitglieder des Tribunal de Contas (Rechnungshof, Portugal) allgemeine Maßnahmen zur Kürzung von Bezügen wie die, um die es im Ausgangsverfahren geht, Anwendung finden, die mit der Notwendigkeit des Abbaus eines übermäßigen Haushaltsdefizits und einem Finanzhilfeprogramm der Europäischen Union zusammenhängen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supremo Tribunal Administrativo (Oberster Verwaltungsgerichtshof, Portugal) mit Entscheidung vom 7. Januar 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Februar 2016, in dem Verfahren
Associação Sindical dos Juízes Portugueses
gegen
Tribunal de Contas
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, T. von Danwitz, J. L. da Cruz Vilaça, A. Rosas, E. Levits (Berichterstatter) und C. G. Fernlund, der Richterin C. Toader, der Richter M. Safjan und D. Šváby, der Richterinnen M. Berger und A. Prechal sowie der Richter E. Jarašiūnas und E. Regan,
Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Februar 2017,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Associação Sindical dos Juízes Portugueses, vertreten durch M. Rodrigues, advogado,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo, M. Rebelo, F. Almeida und V. Silva als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Flynn und M. França als Bevollmächtigte,
- nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18. Mai 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Associação Sindical dos Juízes Portugueses (Gewerkschaft der portugiesischen Richter, im Folgenden: ASJP) und dem Tribunal de Contas (Rechnungshof, Portugal) wegen der vorübergehenden Kürzung der Bezüge der Mitglieder des Tribunal de Contas (Rechnungshof) im Rahmen der haushaltspolitischen Leitlinien des portugiesischen Staates.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 2 EUV lautet:
„Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.”
Rz. 4
Art. 19 Abs. 1 und 2 EUV bestimmt:
„(1) Der Gerichtshof der Europäischen Union umfasst den Gerichtshof, das Gericht und Fachgerichte. Er sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge.
Die Mitgliedstaaten schaffen die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.
(2) …
Als Richter und Generalanwälte des Gerichtshofs und als Richter des Gerichts sind Persönlichkeiten auszuwählen, die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten …”
Portugiesisches Recht
Rz. 5
Mit der Lei n.° 75/2014 – Estabelece os mecanismos das reduções remuneratórias temporárias e as condições da sua reversão (Gesetz Nr. 75/2014 – Festlegung der Mechanismen zur vorübergehenden Kürzung der Bezüge und der Bedingungen für ihre Rückgängigmachung) vom 12. September 2014 (Diário da República, Reihe I, Nr. 176 vom 12. September 2014, S. 4896, im Folgenden: Gesetz Nr. 75/2014) wird die vorübergehende Kürzung der Bezüge im öffentlichen Dienst geregelt (Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes).
Rz. 6
Art. 2 des Gesetzes Nr. 75/2014 bestimmt:
„1 – Die monatlichen Gesamt-Bruttobezüge von Personen im Sinne von Abs. 9, die 1 500 Euro übersteigen, werden unabhängig davon, ob diese Personen zu diesem Zeitpunkt ihrer Tätigkeit nachgingen oder sie zu einem späteren Zeitpunkt, auf welcher Grundlage auch immer, aufgenommen haben, nach folgenden Maßgaben herabgesetzt:
- um 3,5 % vom Gesamtbetrag der Bezüge von mehr als 1 500 Euro, aber weniger als 2 000 Euro;
- um 3,5 % vom Betrag von 2 000 Euro zuzüglich 16 % vom Betrag der Gesamtbezüge, der 2 000 Euro übersteigt, was bei Bezügen, die zwischen 2 000 und 4 165 Euro liegen, zu einer G...