Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Diskriminierungsverbot. Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Ehrenamtliche Richter und Staatsanwälte und Berufsrichter und -staatsanwälte. Maßnahmen zur Ahndung des missbräuchlichen Einsatzes befristeter Arbeitsverträge. Bezahlter Jahresurlaub
Normenkette
EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge §§ 2, 4-5; Richtlinie 2003/88/EG Art. 7
Beteiligte
Ministero della Giustizia |
Tenor
1.Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Paragraf 4 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, die im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge enthalten ist,
sind dahin auszulegen, dass
sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die im Unterschied zu dem, was sie für Berufsrichter und-staatsanwälte vorsieht, für ehrenamtliche Richter und Staatsanwälte, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, jeden Anspruch auf eine Entschädigung während der Gerichtsferien, wenn die gerichtliche Tätigkeit ruht, sowie auf Leistungen eines Systems des gesetzlichen Sozialversicherungsschutzes und Versicherungsschutzes gegen Unfälle und Berufskrankheiten ausschließt.
2.Paragraf 5 Nr. 1 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge, die im Anhang der Richtlinie 1999/70 enthalten ist,
ist dahin auszulegen, dass
er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach das Arbeitsverhältnis von ehrenamtlichen Richtern und Staatsanwälten Gegenstand aufeinanderfolgender Verlängerungen sein kann, ohne dass im Hinblick auf eine Beschränkung des missbräuchlichen Gebrauchs dieser Verlängerungen wirksame und abschreckende Sanktionen oder die Umwandlung des Arbeitsverhältnisses dieser Richter und Staatsanwälte in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis vorgesehen wären.
Tatbestand
In der Rechtssache C-41/23 Peigli(
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 26. Januar 2023, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, in dem Verfahren
AV,
BT,
CV,
DW
gegen
Ministero della Giustizia
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz, des Präsidenten der Ersten Kammer A. Arabadjiev (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Sechsten Kammer und der Richterin I. Ziemele,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von AV, BT, CV und DW, vertreten durch G. Graziani und C. Ingrillì, Avvocati,
- – der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von E. De Bonis und F. Sclafani, Avvocati dello Stato,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Recchia und F. van Schaik als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) sowie der Paragrafen 4 und 5 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (im Folgenden: Rahmenvereinbarung), die im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43) enthalten ist.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen den ehrenamtlichen Richtern und Staatsanwälten AV, BT, CV und DW einerseits und dem Ministero della Giustizia (Justizministerium, Italien) andererseits über den Antrag dieser Richter und Staatsanwälte auf gleiche wirtschaftliche und rechtliche Behandlung wie Berufsrichter und -staatsanwälte.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rahmenvereinbarung
Rz. 3
Paragraf 2 („Anwendungsbereich“) Nr. 1 der Rahmenvereinbarung sieht vor:
„Diese Vereinbarung gilt für befristet beschäftigte Arbeitnehmer mit einem Arbeitsvertrag oder -verhältnis gemäß der gesetzlich, tarifvertraglich oder nach den Gepflogenheiten in jedem Mitgliedstaat geltenden Definition.“
Rz. 4
In Paragraf 4 („Grundsatz der Nichtdiskriminierung“) der Rahmenvereinbarung heißt es:
„1. Befristet beschäftige Arbeitnehmer dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil für sie ein befristeter Arbeitsvertrag oder ein befristetes Arbeitsverhältnis gilt, gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.
2. Es gilt, wo dies angemessen ist, der Pro-rata-te...