Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Gerichtliche Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen. Sachlicher Anwendungsbereich. Klage auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung. Ungerechtfertigte Bereicherung. Forderung, die auf der ungerechtfertigten Rückerstattung einer Geldbuße wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beruht
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 44/2001
Beteiligte
Siemens Aktiengesellschaft Österreich |
Siemens Aktiengesellschaft Österreich |
Tenor
Eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung, die ihren Ursprung in der Rückzahlung einer in einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren verhängten Geldbuße hat, stellt keine „Zivil- und Handelssache” im Sinne von Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen dar.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Ítélőtábla (Berufungsgericht Budapest, Ungarn) mit Entscheidung vom 16. Februar 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 2. März 2015, in dem Verfahren
Gazdasági Versenyhivatal
gegen
Siemens Aktiengesellschaft Österreich
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin), des Richters A. Rosas, der Richterin A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: I. Illéssy, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Gazdasági Versenyhivatal, vertreten durch L. Bak, irodavezető (Jogi Iroda),
- der Siemens Aktiengesellschaft Österreich, vertreten durch C. Bán und Á Papp, ügyvédek,
- Ungarns, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Koós und A. M. Pálfy als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze, J. Kemper und J. Mentgen als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von F. Varrone, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Tokár und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. April 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Nr. 3 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gazdasági Versenyhivatal (Wettbewerbsbehörde, Ungarn) und der Siemens Aktiengesellschaft Österreich (im Folgenden: Siemens) über eine von der Wettbewerbsbehörde gegen Siemens erhobene Klage auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 7 und 19 der Verordnung Nr. 44/2001 lauten:
„(7) Der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich, von einigen genau festgelegten Rechtsgebieten abgesehen, auf den wesentlichen Teil des Zivil- und Handelsrechts erstrecken.
…
(19) Um die Kontinuität zwischen dem … Übereinkommen [vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung der aufeinanderfolgenden Übereinkommen über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen] und dieser Verordnung zu wahren, sollten Übergangsvorschriften vorgesehen werden. Dies gilt auch für die Auslegung der Bestimmungen [dieses] Übereinkommens durch den Gerichtshof der Europäischen [Union]. Ebenso sollte das Protokoll [vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof (ABl. 1975, L 204, S. 28)] auf Verfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bereits anhängig sind, anwendbar bleiben.”
Rz. 4
Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 definiert ihren sachlichen Anwendungsbereich wie folgt:
„Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie erfasst insbesondere nicht Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten.”
Rz. 5
Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 sieht vor:
„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.”
Rz. 6
Art. 5 in Abschnitt 2 „Besondere Zuständigkeiten”) von Kapitel II der Verordn...