Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Pauschalreisen und verbundene Dienstleistungen. Recht eines Reisenden, von einem Pauschalreisevertrag ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr zurückzutreten. Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände. Ausbreitung von Covid-19. Erhebliche Beeinträchtigung der Durchführung der Pauschalreise oder der Beförderung von Personen an den Bestimmungsort. Vorhersehbarkeit dieser Beeinträchtigung zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung. Nach dem Rücktritt von der Pauschalreise, aber vor deren Beginn eintretende Ereignisse
Normenkette
EURL 2015/2302 Art. 12 Abs. 2
Beteiligte
Tenor
Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates
ist dahin auszulegen, dass
für die Feststellung, ob „unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände“ aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung „die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen“, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist.
Tatbestand
In der Rechtssache C-584/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 2. August 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 5. September 2022, in dem Verfahren
QM
gegen
Kiwi Tours GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: K. Hötzel, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juni 2023,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von QM, vertreten durch Rechtsanwälte J. Kummer und P. Wassermann,
- – der Kiwi Tours GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin S. Bergmann,
- – der griechischen Regierung, vertreten durch A. Dimitrakopoulou, C. Kokkosi, S. Trekli und E. Tsaousi als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Jokubauskaitė, B.-R. Killmann und I. Rubene als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 21. September 2023
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates (ABl. 2015, L 326, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen QM und der Kiwi Tours GmbH über den Anspruch auf volle Erstattung aller vom betreffenden Reisenden im Rahmen seines Pauschalreisevertrags getätigten Zahlungen, einschließlich der ihm auferlegten Rücktrittsgebühr, nachdem der Reisende wegen des Gesundheitsrisikos im Zusammenhang mit der Ausbreitung von Covid-19 vom Vertrag zurückgetreten war.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 29 bis 31 der Richtlinie 2015/2302 lauten:
„(29) In Anbetracht der Besonderheiten von Pauschalreiseverträgen sollten die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien für die Zeit vor und nach dem Beginn der Pauschalreise festgelegt werden, insbesondere für den Fall, dass der Vertrag nicht ordnungsgemäß erfüllt wird oder dass sich bestimmte Umstände ändern.
(30) Da Pauschalreisen häufig lange im Voraus erworben werden, können unvorhergesehene Ereignisse eintreten. Der Reisende sollte daher unter bestimmten Voraussetzungen berechtigt sein, den Pauschalreisevertrag auf einen anderen Reisenden zu übertragen. In diesen Fällen sollte der Reiseveranstalter die Erstattung seiner Ausgaben verlangen können, beispielsweise wenn ein Unterauftragnehmer für die Änderung des Namens des Reisenden oder für die Stornierung oder Neuausstellung eines Beförderungsausweises eine Gebühr verlangt.
(31) Reisende sollten jederzeit vor Beginn der Pauschalreise gegen Zahlung einer angemessenen und vertretbaren Rücktrittsgebühr – unter Berücksichtigung der erwarteten ersparten Aufwendungen sowie der Einnahmen aus einer anderweitigen Verwendung der Reiseleistungen – von dem Pauschalreisevertrag zurücktreten können. Zudem sollten sie ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurücktreten können, wenn die Durchführung der Reise durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände erheblich beeinträchtigt wird. Dies kann zum Beispiel Kriegshandlungen, andere schwerwiegende Beeinträchtigungen der Sicherheit wie Terrorismus, erhebliche R...