Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Luftverkehr. Nichtbeförderung. Begriffe ‚Ausgleichszahlungen’ und ‚weiter gehender Schadensersatz’. Art des zu ersetzenden Schadens. Materieller oder immaterieller Schaden. Anrechnung. Weiter gehender Schadensersatzanspruch. Unterstützungsleistungen. Information der Fahrgäste
Normenkette
EGV Nr. 261/2004
Beteiligte
SC Blue Air – Airline Management Solutions SRL |
Tenor
1. Erstens ist Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 dahin auszulegen, dass der in dieser Bestimmung vorgesehene Betrag nicht dazu dient, einen Schaden wie einen Verdienstausfall auszugleichen, zweitens kann dieser Schaden Gegenstand des in Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen weiter gehenden Schadensersatzanspruchs sein, und drittens ist es Sache des vorlegenden Gerichts, die verschiedenen Tatbestandsmerkmale des Schadens und den Umfang seines Ausgleichs anhand der einschlägigen Rechtsgrundlage zu bestimmen und zu beurteilen.
2. Die Verordnung Nr. 261/2004, insbesondere ihr Art. 12 Abs. 1 Satz 2, ist dahin auszulegen, dass sie dem zuständigen nationalen Gericht erlaubt, die nach dieser Verordnung gewährte Ausgleichsleistung auf den weiter gehenden Schadensersatzanspruch anzurechnen, es aber nicht dazu verpflichtet und ihm keine Bedingungen für die Anrechnung vorgibt.
3. Art. 4 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass er das ausführende Luftfahrtunternehmen dazu verpflichtet, die betroffenen Fluggäste umfassend über alle der in Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Möglichkeiten zu informieren, und die betroffenen Fluggäste nicht verpflichtet sind, aktiv an der Suche nach entsprechenden Informationen mitzuwirken.
4. Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass für die Zwecke dieser Bestimmung das ausführende Luftfahrtunternehmen die Beweislast dafür trägt, dass die anderweitige Beförderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt stattgefunden hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunalul Bacău (Landgericht Bacău, Rumänien) mit Entscheidung vom 26. April 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Mai 2018, in dem Verfahren
Radu-Lucian Rusu,
Oana-Maria Rusu
gegen
SC Blue Air – Airline Management Solutions SRL
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen sowie der Richter J. Malenovský (Berichterstatter) und C. G. Fernlund,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der SC Blue Air – Airline Management Solutions SRL, vertreten durch M. Popa, avocat,
- der rumänischen Regierung, vertreten durch C.-R. Canţăr, L. Liţu und A. Wellman als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, zunächst vertreten durch T. Henze, M. Hellmann, E. Lankenau und A. Berg, dann durch M. Hellmann, E. Lankenau und A. Berg als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Nicolae und N. Yerrell als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 4, 7, 8 und 12 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Radu-Lucian Rusu und Frau Oana-Maria Rusu auf der einen Seite und der SC Blue Air – Airline Management Solutions SRL (im Folgenden: Blue Air) auf der anderen Seite wegen des Ausgleichs immaterieller und materieller Schäden, die sie aufgrund einer Nichtbeförderung erlitten haben.
Rechtlicher Rahmen
Völkerrecht
Rz. 3
Art. 29 des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, geschlossen am 28. Mai 1999 in Montreal und genehmigt im Namen der Europäischen Union durch den Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. 2001, L 194, S. 38), sieht vor:
„Bei der Beförderung von Reisenden, Reisegepäck und Gütern kann ein Anspruch auf Schadensersatz, auf welchem Rechtsgrund er auch beruht, sei es dieses Übereinkommen, ein Vertrag, eine unerlaubte Handlung oder ein sonstiger Rechtsgrund, n...