Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsangleichung. Urheberrecht und verwandte Schutzrechte. Ausnahme für Privatkopien. Öffentliche Wiedergabe. Spezifisches technisches Verfahren. Erbringung einer Dienstleistung der Bildaufzeichnung in der ‚Cloud' (Cloud-Computing) betreffend Kopien von urheberrechtlich geschützten Werken ohne Zustimmung des betreffenden Urhebers. Aktiver Eingriff des Dienstleistungserbringers in diese Aufzeichnung
Normenkette
Richtlinie 2001/29/EG Art. 5 Abs. 2 Buchst. b, Art. 3 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
Die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, insbesondere ihr Art. 5 Abs. 2 Buchst. b, ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die es einem gewerblichen Unternehmen gestattet, für Private mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems eine Dienstleistung der Fernbildaufzeichnung von Privatkopien urheberrechtlich geschützter Werke in der „Cloud” durch aktiven Eingriff seinerseits in die Aufzeichnung ohne Zustimmung des Rechtsinhabers zu erbringen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale di Torino (Gericht Turin, Italien) mit Entscheidung vom 4. Mai 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Mai 2016, in dem Verfahren
VCAST Limited
gegen
RTI SpA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen sowie der Richter J. Malenovský (Berichterstatter), M. Safjan, D. Šváby und M. Vilaras,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 2017,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der VCAST Limited, vertreten durch E. Belisario, F. G. Tita, M. Ciurcina und G. Scorza, avvocati,
- der RTI SpA, vertreten durch S. Previti, G. Rossi, V. Colarocco, F. Lepri und A. La Rosa, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Galluzzo und R. Guizzi, avvocati dello Stato,
- der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und D. Segoin als Bevollmächtigte,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo und T. Rendas als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Malferrari und J. Samnadda als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. September 2017
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10), insbesondere von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie, der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (ABl. 2000, L 178, S. 1) sowie des AEU-Vertrags.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der VCAST Limited und der RTI SpA betreffend die Rechtmäßigkeit der Zurverfügungstellung eines Systems zur Bildaufzeichnung von insbesondere durch RTI ausgestrahlten Fernsehprogrammen in der „Cloud” an die Kunden von VCAST.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2000/31
Rz. 3
Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2000/31 lautet:
„Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen.”
Rz. 4
Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2000/31 sieht vor, dass insbesondere ihr Art. 3 Abs. 2 keine Anwendung auf die im Anhang der Richtlinie genannten Bereiche findet, wobei dieser Anhang insbesondere das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte anführt.
Richtlinie 2001/29
Rz. 5
Der erste Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 lautet:
„Der Vertrag sieht die Schaffung eines Binnenmarkts und die Einführung einer Regelung vor, die den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verzerrungen schützt. Die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte trägt zur Erreichung dieser Ziele bei.”
Rz. 6
Im 23. Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt es:
„Mit dieser Richtlinie sollte das für die öffentliche Wiedergabe geltende Urheberrecht weiter harmonisiert werden. Dieses Recht sollte im weiten Sinne verstanden werden, nämlich dahin gehend, dass es jegliche Wiedergabe an die Öffentlichkeit umfasst, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe ihren Ursprung nimmt, nicht anwesend ist. Dieses Recht sollte jegliche entsprechende drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Übertragung oder Weiterverbreitung eines Werks, ...