Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Asyl. Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge. Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling. Begriff ‚Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen’. Bedeutung. Führendes Mitglied einer terroristischen Vereinigung. Strafrechtliche Verurteilung wegen der Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung. Einzelprüfung
Normenkette
Richtlinie 2004/83/EG Art. 12 Abs. 2 Buchst. c, Abs. 3
Beteiligte
Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides |
Tenor
1. Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass nicht nur dann angenommen werden kann, dass der dort vorgesehene Grund für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling vorliegt, wenn die Person, die internationalen Schutz beantragt, wegen einer der in Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung vorgesehenen terroristischen Straftaten verurteilt worden ist.
2. Art. 12 Abs. 2 Buchst. c und Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 sind dahin auszulegen, dass Handlungen der Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung – wie jene, wegen deren der Beschwerdegegner des Ausgangsverfahrens verurteilt worden ist – den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling rechtfertigen können, auch wenn nicht erwiesen ist, dass die betreffende Person eine terroristische Handlung im Sinne der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen begangen, zu begehen versucht oder angedroht hat. Für die Einzelprüfung der Tatsachen, anhand deren beurteilt werden kann, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass sich eine Person Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, zuschulden kommen ließ, zu solchen Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat, sind sowohl der Umstand, dass diese Person von den Gerichten eines Mitgliedstaats wegen der Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden ist, als auch die Feststellung, dass diese Person ein führendes Mitglied dieser Vereinigung war, von besonderer Bedeutung, ohne dass nachgewiesen werden müsste, dass diese Person selbst zu einer terroristischen Handlung angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d'État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 13. November 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Dezember 2014, in dem Verfahren
Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides
gegen
Mostafa Lounani
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen, J. L. da Cruz Vilaça und E. Juhász, der Kammerpräsidentin M. Berger, des Kammerpräsidenten E. Regan, der Richter A. Rosas (Berichterstatter), A. Borg Barthet, J. Malenovský und E. Levits, der Richterin K. Jürimäe und des Richters C. Lycourgos,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: V. Tourrès, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Februar 2016,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Commissaire général aux réfugiés et aux apatrides, vertreten durch E. Derriks, avocat,
- von Herrn Lounani, vertreten durch C. Marchand und D. Alamat, avocats,
- der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, M. Jacobs und S. Vanrie als Bevollmächtigte im Beistand von D. Matray, C. Piront und N. Schynts, avocats,
- der griechischen Regierung, vertreten durch M. Michelogiannaki als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch A. Rubio González und L. Banciella Rodríguez-Miņón als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch F.-X. Bréchot und D. Colas als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Salvatorelli, avvocato dello Stato,
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und M. M. Tátrai als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Holt, S. Brandon und V. Kaye als Bevollmächtigte im Beistand von D. Blundell, Barrister,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Condou-Durande und R. Troosters als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 31. Mai 2016
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung vo...