Ralph Gübner, Dr. Axel Deutscher
Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Auch beim gesetzlichen Regelfahrverbot wegen Trunkenheits- oder Drogenfahrt kommt ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot in Betracht. |
2. |
Nach allgemeiner Ansicht ist hierfür erforderlich, dass das Fahrverbot bei dem Betroffenen zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde. |
3. |
Die Erforderlichkeit des Fahrverbots zur Einwirkung auf den Betroffenen kann nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden. |
4. |
Außergewöhnliche Härten können sich aus den beruflich-wirtschaftlichen oder immateriellen Folgen für den Betroffenen ergeben. |
Rdn 1467
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Fahrverbot, Allgemeines, Rdn 1493 und → Fahrverbot, Absehen, allgemeine Gründe, Rdn 1376.
Rdn 1468
1. Auch beim gesetzlichen Regelfahrverbot wegen Trunkenheits- oder Drogenfahrt nach den §§ 24a, 25 Abs. 1 S. 2 StVG kommt ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot unter angemessener Anhebung der Regelgeldbuße nach § 4 Abs. 4 BKatV in Betracht. Dies bezieht sich ausschließlich auf die Vermutungswirkung auf der Rechtsfolgenseite, wonach bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 24a StVG die Erforderlichkeit und Angemessenheit des Fahrverbots indiziert ist. Diese Vermutung kann im Einzelfall widerlegt werden (→ Trunkenheitsfahrt, Fahrverbot, Rdn 3525), was auch bei einer höheren Alkoholisierung möglich ist (OLG Hamm DAR 2008, 652 m. Anm. Krumm = VRR 2008, 434 [0,52 mg/l]; OLG Schleswig BA 1992, 77 [1,01 ‰]). Dies dürfte allerdings bei einer Vorsatztat ausgeschlossen sein, wenn der Betroffene etwas über eine Stunde nach einer Polizeikontrolle erneut unter Drogeneinfluss mit seinem Fahrzeug angehalten wird (AG Dortmund, Urt. v. 29.5.2018 – 729 OWi 260 Js 706/18–101/18, VRR 1/2019, 22 = NZV 2019, 106).
☆ Hiervon sind die Fallgestaltungen zu unterscheiden, bei denen wegen Unrechtsminderung schon die tatbestandsbezogene Indizwirkung widerlegt wird (→ Trunkenheitsfahrt, Fahrverbot , Rdn 3524 ff.). Eine Anhebung der Geldbuße nach § 4 Abs. 4 BKatV ist dann nicht zulässig (s.o. Rdn 1738 ).Unrechtsminderung schon die tatbestandsbezogene Indizwirkung widerlegt wird (→ Trunkenheitsfahrt, Fahrverbot, Rdn 3524 ff.). Eine Anhebung der Geldbuße nach § 4 Abs. 4 BKatV ist dann nicht zulässig (s.o. Rdn 1738).
Rdn 1469
2. Nach allgemeiner Ansicht ist hierfür erforderlich, dass das Fahrverbot beim Betroffenen zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde (OLG Bamberg DAR 2009, 39 = VRR 2009, 33; OLG Hamm DAR 2008, 652 m. Anm. Krumm = VRR 2008, 434 = VA 2008, 156; vgl. auch OLG Hamm VRR 2009, 431 = BA 2009, 337, wonach den Wegfall des Regelfahrverbots nach § 25 Abs. 1 S. 2 StVG nur solche Umstände rechtfertigen sollen, die auch bei einem Vergehen der Trunkenheit im Verkehr nach § 316 StGB die Regelwirkung des § 69 StGB entfallen lassen würden). Der Formulierung nach ist dieses Erfordernis strenger als in Fällen grober oder beharrlicher Pflichtverletzungen, bei welchen für das Absehen auch das Vorliegen einer Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände genügen kann. Das wird damit begründet, dass nach § 25 Abs. 1 StVG bei groben oder beharrlichen Pflichtverletzungen ein Fahrverbot angeordnet werden "kann", während es bei einer Trunkenheits- oder Drogenfahrt i.d.R. anzuordnen "ist" (BGHSt 38, 125; OLG Hamm DAR 2002, 324). Dieser Unterschied relativiert sich aber, da bei den Regelbeispielen für grobe oder beharrliche Pflichtverletzungen nach § 4 Abs. 1, 2 BKatV ein Fahrverbot "in der Regel in Betracht kommt". Der Sache nach lässt sich in der Rechtsprechung trotz strengerer Formulierungen auch kein grundlegender Unterschied hinsichtlich der Voraussetzungen ausmachen. Die bei der Behandlung der Regelbeispiele dargestellten Grundsätze sind daher weitgehend auch hier anwendbar (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 18.12.2019 – 2 Ss (OWi) 338/19, NZV 2020, 255 m. Anm. Krenberger = VRR 7/2020, 23 [Deutscher]; enger König DAR 2020, 368; → Fahrverbot, Absehen, allgemeine Gründe, Rdn 1376; → Fahrverbot, Absehen, berufliche Gründe, Rdn 1399; → Fahrverbot, Absehen, sonstige Gründe, Rdn 1457; → Fahrverbot, Absehen, Zeitablauf, Rdn 1476).
Rdn 1470
3. Die Erforderlichkeit des Fahrverbots zur erzieherischen Einwirkung auf den Betroffenen kann mit den üblichen Argumenten (Ersttäter, Geständnis, geringe Überschreitung des Grenzwertes) angesichts der besonderen Gefährlichkeit von Trunkenheits- oder Drogenfahrten nicht verneint werden (Nachw. aus der Rspr. → Trunkenheitsfahrt, Fahrverbot, Rdn 3524). Insbesondere soll die Erforderlichkeit bei einer Trunkenheitsfahrt auch dann nicht entfallen, wenn unmittelbar zuvor eine ursprüngliche Suizidabsicht fallen gelassen worden war (OLG Hamm NZV 1996, 246). Ebenso genügt hierfür nicht, dass die Tat längere Zeit (hier: 8,5 Monate) zurückliegt und der Betroffene seitdem abstinent ist (a.A. AG Zeitz VRR 2014, 34), auch wenn das als "Bruch im Leben" charakterisiert wird (a.A. AG Zeitz NZV 2016, 394). Allerdings fehlt es an der Erforderlichkeit, wenn dem Fahrverbot wegen einer zeitlich überschießenden vorl...