Leitsatz
Ist aus einem Testament ein Teil des Textes herausgeschnitten worden, ist zu prüfen, ob eine Rekonstruktion des fehlenden Teils möglich ist, wenn nicht feststeht, dass der Erblasser die Ausschneidung veranlasst hat, was einen teilweisen Widerruf darstellen würde. Wer sein Erbrecht auf das Testament stützen will, trägt die Feststellungslast für den gesamten Inhalt des Testaments.
Sachverhalt
Die Erblasserin ist unverheiratet und kinderlos verstorben. Sie hinterließ ein Testament folgenden Inhalts: "Hiermit setze ich … meine Neffen jeweils zur Hälfte zu Erben ein…"
Die Testamentsurkunde ist dahingehend unvollständig, als zwischen den Textbestandteilen "Hiermit setze ich…" und "…meine Neffen…" etwas mehr als eine Zeile mit einem scharfen Werkzeug herausgeschnitten wurde.
Die Neffen haben die Erteilung eines Erbscheins zu je ½ beantragt.
Entscheidung
Zwar hat die Ausschneidung die Formwirksamkeit des Testaments nicht beeinträchtigen können. Von dieser Frage zu unterscheiden ist jedoch die des Beweiswertes, der durch die Ausschneidung beeinträchtigt ist. Es unterliegt der freien Beweiswürdigung, ob das Testament den Erblasserwillen noch zutreffend wiedergibt.
Es lässt sich zunächst nicht ausschließen, dass der entfernte Teil eine erbrechtlich bedeutsame Bestimmung enthielt. Dass die Erblasserin das Blatt benutzt habe, obwohl es bereits eine Ausschneidung enthielt, um darauf das Testament überhaupt erst zu errichten, erscheint dagegen lebensfremd. Die Größe des Ausschnitts gibt auch durchaus die Einsetzung beispielsweise eines Vermächtnisses her. Auch die Überlegung der Neffen, die Erblasserin habe möglicherweise einen Schreib- oder Formulierungsfehler korrigieren wollen, erscheint unwahrscheinlich. Nach Art der Erblasserin hätte diese eher einen Fehler mittels Durchstreichen oder Anbringen eines Zusatzes korrigiert. Das Gericht vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass die Ausschneidung von der Erblasserin selbst herrührt oder von ihrem Willen getragen war.
Schließlich war zu prüfen, ob sich unabhängig von den äußeren Mängeln der Testamentsurkunde der Wille der Erblasserin dahingehend feststellen lässt, dass die testamentarisch verbliebene Regelung gelten solle. Diese Frage war zu verneinen, da sich der Inhalt des Ausschnitts nicht ansatzweise rekonstruieren lässt, so dass letztlich unklar bleibt, ob der Sinn des verbliebenen Textes überhaupt vom Testierwillen der Erblasserin getragen war. Da die Neffen die volle Feststellungslast hinsichtlich des gesamten Inhalts tragen, muss zu ihren Lasten davon ausgegangen werden, dass im Testament weitere Regelungen enthalten waren, die ihr Erbrecht beeinträchtigen oder in Frage stellen.
Link zur Entscheidung
OLG Hamm, Beschluss vom 14.08.2007, 15 W 331/06