So groß im November 2022 die Freude bei der Unterhaltskommission des Deutschen Familiengerichtstages über die Möglichkeit war, nach zwei Jahren wieder von Angesicht zu Angesicht im Berliner Amtsgericht Kreuzberg zu dem fast schon "traditionellen" Treffen mit den Vertretern der Oberlandesgerichten[2] zusammenzukommen, so groß waren aber auch die Herausforderungen, denen sich die Verfasser der Düsseldorfer Tabelle gegenübersahen: In erster Linie sind das die die gesellschaftlich-politischen sowie die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die sich unmittelbar auf das Unterhaltsrecht auswirken. Stichwörter sind insbesondere die in den Metropolregionen vielfach geradezu explodierenden Mietpreise; die als Folge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine sehr gestiegenen Energiekosten; die binnen weniger Monate stark angewachsene Inflation[3] und die damit einhergehende Verteuerung der Lebenshaltungskosten: Durchweg Gesichtspunkte, die beide Seiten des Unterhaltsrechtsverhältnisses, den Unterhaltspflichtigen genauso wie den Unterhaltsberechtigten, treffen. Eine weitere Herausforderung war der Umstand, dass Anfang November 2022 das normative Rahmenwerk, auf das die Düsseldorfer Tabelle mit ihrem Zahlenwerk aufsetzt, überwiegend noch gar nicht verabschiedet war, sondern zumeist nur politische Absichtserklärungen oder Entwürfe vorlagen. Bekannt waren lediglich die neuen Zahlen des 14. Existenzminimumberichts,[4] die üblicherweise u.a. auch der Mindestunterhalts-Verordnung zugrunde gelegt werden[5] sowie der Entwurf eines Inflationsausgleichsgesetzes, mit dem u.a. ab Januar 2023 das Kindergeld angehoben werden sollte.[6] Für die Konzeption der Tabellenansätze wichtige Bestimmungen wie die geänderte Mindestunterhaltsverordnung,[7] das Kindergeldrecht[8] oder das Bürgergeld[9] standen teilweise erst wenige Tage vor Bekanntgabe der neuen Düsseldorfer Tabelle 2023 – am 5.12.2022 – endgültig fest. Überwölbt wurde das Ganze durch die Unsicherheit, ob, wann und mit welchem Inhalt eine weitere Unterhaltsrechtsreform kommen wird, der anhaltenden Diskussion über erforderliche Änderungen in der Struktur der Düsseldorfer Tabelle[10] und eine höchstrichterliche Rechtsprechung in Unterhaltssachen, die in jüngster Zeit Anlass zu vielfältigen Kontroversen gegeben hat.

[2] Eine Ausnahme macht das OLG Saarbrücken, dessen beide Familiensenate traditionell keine eigenen unterhaltsrechtlichen Leitlinien herausgeben, sondern sich in ihrer Rechtsprechung unmittelbar an der Düsseldorfer Tabelle und deren Anmerkungen orientieren; vgl. Menne, NJW 2021, 497 (497).
[3] Vgl. beispielsweise Osthold, FF 2022, 381.
[4] Vgl. Bericht über die Höhe des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2024 (14. Existenzminimumbericht), BT-Drucks 20/4443.
[5] Nach dem 14. Existenzminimumbericht (BT-Drucks 20/4443, 10) beträgt das statistisch belegte, sächliche Existenzminimum eines Kindes im Jahr 2023 6.024 EUR/Jahr bzw. 502 EUR monatlich (im Jahr 2024: 6.384 EUR). Der Wert von 502 EUR/Monat wurde in die Mindestunterhaltsverordnung vom 30.11.2022 übernommen und bildet den "Basiswert" für die zweite Altersstufe (§ 1612a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BGB), aus dem sodann entsprechend der Vorgaben nach § 1612a Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, 3 BGB der Mindestunterhalt der ersten und dritten Altersstufe ermittelt wird. Vgl. die eingehende Erläuterung bei Menne, FamRB 2008, 145 ff.
[6] Vgl. Entwurf der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP eines Gesetzes zum Ausgleich der Inflation durch einen fairen Einkommensteuertarif sowie zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen (Inflationsausgleichsgesetz) vom 20.9.2022, BT-Drucks 20/3496. Der ursprüngliche Entwurf sah lediglich eine Anhebung des Kindergeldes für die ersten drei Kinder auf 237 EUR und ab dem vierten Kind auf 250 EUR/Monat vor. Erst im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurde das geändert und das Kindergeld für alle Kinder einheitlich auf 250 EUR festgelegt.
[7] 5. Verordnung zur Änderung der Mindestunterhaltsverordnung v. 30.11.2022, BGBl I, 2130. Die Ausgabe 47 des Bundesgesetzblattes, in der die Mindestunterhalts-VO veröffentlicht wurde, erschien erst am 6.12.2022, einen Tag nach Bekanntgabe der neuen Düsseldorfer Tabelle 2023.
[8] Mit dem Inflationsausgleichsgesetz, dem der Bundesrat am 25.11.2022 zugestimmt hat, wurden u.a. §§ 66 Abs. 1 EStG, 6 Abs. 1 BKGG geändert und das Kindergeld ab dem 1.1.2023 einheitlich für alle Kinder auf 250 EUR/Monat festgesetzt. Das Inflationsausgleichsgesetz v. 8.12.2022 wurde inzwischen im BGBl I, 2230 veröffentlicht.
[9] Das Zwölfte Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Bürgergeld-Gesetz) geht zurück auf einen Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks 20/3873 v. 10.10.2022). Nach Nachverhandlungen im Vermittlungsausschuss hat der Bundesrat dem Entwurf am 25.11.2022 zugestimmt. Das Bürgergeld-Gesetz v. 16.12.2022 wurde inzwischen im BGBl I, S. 2328 veröffentlicht.
[10] Vgl. u.a. Frank, FF 2022, 8 f...

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