Interview mit Gerold Möller, Vizepräsident am Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg
Gerold Möller
FF/Schnitzler: Sie sind Vizepräsident des Oberlandesgerichts Hamburg und leiten einen Familiensenat. Wie viele Richter und Richterinnen sind derzeit in Hamburg eingesetzt?
Möller: An den acht Hamburger Amtsgerichten sind 63 Richterinnen und Richter mit unterschiedlichen Anteilen mit Familiensachen befasst. Insgesamt sind derzeit 42,5 Richterpensen in den Familiengerichten eingesetzt.
Beim Hanseatischen Oberlandesgericht bestehen vier Familiensenate, denen jeweils noch weitere Spezialzuständigkeiten zugewiesen sind, wie z.B. Pressesachen, AGB-Sachen, Erbrecht, Abstammungssachen. Insgesamt bearbeiten derzeit 17 Richterinnen und Richter Familiensachen.
FF/Schnitzler: Die große Reform des Verfahrensrechts ist seit dem 1.9.2009 in Kraft, Teil des Reformvorhabens war die Einführung des großen Familiengerichts. Haben Sie eine Verstärkung erfahren, zumal schwierige Verfahrensbereiche vom Amts- und Landgericht an das Familiengericht abgegeben worden sind, z.B. Gesamtschuldnerausgleich bei Darlehen, Nutzungsentschädigungen usw.?
Möller: Zusätzliche Richterstellen sind mit der Einführung der Reform nicht bereitgestellt worden. Bei den Familiengerichten hat es im Laufe des Jahres bei den Familienrichterinnen und Familienrichtern einen Zuwachs von knapp 4 Richterpensen gegenüber dem Stand vor Einführung des FamFG gegeben. Beim Hanseatischen Oberlandesgericht war für 2010 eine Zunahme der Familiensachen von ca. 10 % zu verzeichnen. Die Familiensenate sind zu Lasten des Zivilbereichs zum 1.1.2011 um 0,5 Pensen verstärkt worden.
FF/Schnitzler: Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot hat zu einiger Irritation bei Anwälten und Familiengerichten geführt. Hier ist offenbar bei Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, sowie bei Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls das "Cochemer Modell" in die Praxis umgesetzt worden, wonach möglichst rasch ein Termin stattfinden sollte, ohne dass umfangreiche Schriftsätze schon von vornherein das Verfahren belasten können. Gibt es Probleme zwischen Anwaltschaft und Richtern, die die Einhaltung der Monatsfrist gewährleisten müssen?
Möller: Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot hatte bereits vor Einführung des FamFG in dem 2008 eingeführten § 50e FGG seinen Niederschlag gefunden, der bestimmte, dass Verfahren, die den Aufenthalt, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, vorrangig und beschleunigt durchzuführen sind, insbesondere die Sache mit den Beteiligten und dem Jugendamt in einem binnen einem Monat nach Beginn des Verfahrens anzusetzenden Termin erörtert werden soll. Im FamFG finden wir das Gebot jetzt in § 155.
Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot brachte für die Verfahrensbeteiligten eine erhebliche Umstellung. War es vorher noch verbreitete Handhabung, erst zu terminieren, wenn der Bericht des Jugendamtes vorlag, war nun in einem Stadium des Verfahrens zu terminieren, in dem die Sachlage noch weitgehend ungeklärt war.
Erfreulicherweise gab es in Hamburg in den Sorgerechts- und Umgangssachen schon immer einen, wenn auch sehr unterschiedlich intensiven fachlichen Austausch zwischen den Familienrichterinnen und -richtern sowie vielen Fachanwältinnen und -anwälten und den Jugendämtern. Anfängliche Probleme, die das Vorrang- und Beschleunigungsgebot mit sich brachten, konnten so durch Gespräche schnell geklärt werden. Die Familiengerichte halten in der Regel Termine für die Umgangs- und Sorgerechtsverfahren frei. Auch die Anwaltschaft und die Jugendämter bzw. die von ihnen beauftragten Träger haben sich auf die Monatsfrist eingestellt.
Die vor diesem Termin eingereichten Schriftsätze werden vielfach kurz gehalten.
Die kurze Frist bringt es allerdings mit sich, dass sich der komplexe Sachverhalt oft erst in dem Termin vollständig erschließt. Gleichwohl wird man für Hamburg sagen können, dass die Umsetzung des Vorrang- und Beschleunigungsgebots gelungen ist.
FF/Schnitzler: Kann man sagen, dass die Beschleunigung zu einer Beruhigung der Situation in derartigen Fällen beigetragen hat?
Möller: Im Interesse der Kinder sollte es in diesen Verfahren das vorrangige Ziel sein, gemeinsame Gespräche der Eltern über die Belange der Kinder wieder möglich zu machen und den Fortbestand der Beziehung der Kinder zu beiden Eltern zu erreichen. Den Eltern muss ihre gemeinsame Verantwortung gegenüber den Kindern bewusst werden und sie müssen lernen, dass der Beziehungskonflikt die elterliche Kompetenz nicht überlagern darf. In der Gerichtsverhandlung sollen die Eltern konstruktive Gespräche sowie Bemühungen um Lösungen und keine Kampfhandlungen zwischen Parteianwälten, Richtern und Jugendamtsmitarbeitern erleben. Zur Beruhigung der Situation trägt es entscheidend bei, dass die Eltern möglichst schnell mithilfe der beteiligten Professionen miteinander in das Gespräch kommen.
Doch neben dem Bestreben, schnell in das Gespräch zu kommen, ist ein...