Der Bezug zwischen Abstammung und Familie wird dadurch kompliziert, dass genetische und rechtliche Elternschaft auseinanderfallen können, bei den Müttern zusätzlich die genetische und die sogenannte biologische, wenn die Frau, die das Kind zur Welt bringt, genetisch nicht dessen Mutter ist.
Bei der Vaterschaft ergibt sich die häufige Erscheinung, dass der genetische Vater nicht zur rechtlichen Vaterschaft aufsteigen kann oder will. Er bleibt dann der "nur leibliche Vater", wie er oft genannt wird. Welche Rechtsstellung ist damit verbunden? Gehört er zur Familie? Das Bundesverfassungsgericht hat für den "nur leiblichen Vater" aus dem Grundgesetz bekanntlich zwei Rechtspositionen entwickelt: ein Anfechtungsrecht und ein Umgangsrecht.
Die Befugnis, eine anderweit bestehende rechtliche Vaterschaft anzufechten, hat das Gericht eindeutig nicht auf das Familiengrundrecht (Art. 6 Abs. 1 GG) gestützt, sondern auf das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG; dieses schütze den leiblichen Vater in seinem Interesse, die Stellung eines rechtlichen Vaters einzunehmen. Doch läuft das Anfechtungsrecht leer, solange zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht (§ 1600 Abs. 2, 3 BGB). Dann haben wir die interessante Konstellation: Elternrecht gegen Familie.
Das Umgangsrecht leitet das BVerfG hingegen nicht aus dem Elterngrundrecht her. Der leibliche Vater sei – trotz des soeben Gesagten – nicht Träger des Elternrechts. Daher könne aus dem Elternrecht kein Recht zum Umgang folgen. Um ein Umgangsrecht dennoch zu gewähren, bedurfte es also einer anderen Basis, die das Gericht nun im Familiengrundrecht des Art. 6 Abs. 1 findet: Wenn im Gefolge der leiblichen Vaterschaft eine tatsächliche sozial-familiäre Beziehung zwischen ihm und dem Kind entstanden ist, dann ist ein familiäres Band geknüpft, das ein Umgangsrecht begründen kann. Das Kind hat dann nicht zwei Väter, aber zwei Familien. Dabei ist nicht die Abstammung die tragende Grundlage, jedenfalls nicht allein, sondern das psycho-soziale Faktum "Familie". Hier steht also umgekehrt Familie gegen Elternrecht (konkret: gegen das Sorgerecht der rechtlichen Eltern).
Bei all dem bleibt letztlich unklar, welche substanziellen Rechtswirkungen die genetische Abstammung als solche eigentlich hervorbringt. Das ist das große Rätsel unseres Abstammungsrechts. Nach dem Konzept des BVerfG ist die schlichte Tatsache der genetischen Abstammung eines Kindes von einer bestimmten anderen Person noch nicht "Familie". Der "nur" leibliche Vater steht noch vor der Familientüre, die er aus eigener Initiative nicht öffnen kann, solange der rechtliche Vater mit dem Kind sozial-familiär verbunden ist bzw. solange er nicht selbst seine solche Verbindung mit dem Kind hat herstellen können. Das müsste auch für "nur genetische Mütter" gelten, die zudem nach derzeitigem deutschem Recht überhaupt keine Chance haben, zur rechtlichen Mutterschaft aufzusteigen.
Nun hat bekanntlich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Bundesverfassungsgericht in der Frage des Umgangs korrigiert, das Gesetz musste mit dem neuen § 1686a BGB noch einmal geändert werden. Nach Meinung des Gerichtshofs hat der leibliche Vater ein Umgangsrecht nicht nur dann, wenn er mit dem Kind sozial-familiär verbunden ist; es genügt bereits seine Absicht, ein Familienleben mit dem Kind zu begründen. Aber auch hier trägt nicht die bloße genetische Abstammung allein das Umgangsrecht. Nach der deutschen Umsetzung der Entscheidung muss hinzukommen, dass der leibliche Vater ein ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat (§ 1686a Abs.1 BGB) – gewiss eine niedrige Schwelle. Was aber die genetische Abstammung für sich allein betrachtet rechtlich bedeutet, kann uns auch der Europäische Gerichtshof nicht näher darlegen.
Ich kann es auch nicht. Die Abstammung spielte und spielt in vielen Kulturen und Gesellschaften eine herausragende Rolle, man denke nur an die griechisch-römischen Mythen, wo es allenthalben um Abstammungsbeziehungen zwischen Göttern, Halbgöttern und Menschen geht, wie ein Blick in die Theogonie des Hesiod zeigt. Das Thema "Wer stammt von wem ab?" geht durch die Theorie- und Literaturgeschichte und gibt den Stoff für viele Dramen und Opern. Das alles kann hier nicht näher verfolgt werden. Unser Bewusstsein ist vielleicht noch von der historischen Bewertung der Abstammung als besonders wichtiges Identitätsmerkmal der menschlichen Person geprägt. Doch scheint mir die Frage, was genetische Abstammung für sich gesehen bedeutet – also getrennt von ihrer rechtlichen Anerkennung betrachtet –, ein "modernes", durch die Fortschritte der Medizin zugespitztes Problem zu sein, das noch einer klaren Lösung harrt.
Man könnte daran denken, jedem Menschen das uneingeschränkte Recht einzuräumen, gemäß seiner genetischen Herkunft statusmäßig zugeordnet zu werden. Dazu versteht sich unsere Rechtsordnung aber nicht. Nach dem BVerfG ist der Gesetzgeber zwar gehalten, die Zuweisung der elterlichen Rechtspositi...