Leitsatz (amtlich)
1. § 1592 BGB ermöglicht nicht die abstammungsrechtliche Zuordnung eines zweiten Elternteils, wenn ein Kind in einer gleichgeschlechtlichen Ehe zweier Frau geboren wird, und ist aus diesem Grund mit Art. 6 Abs. 2 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar.
2. Zugleich ist das Grundrecht des betroffenen Kindes aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auf Gewährleistung von Pflege und Erziehung durch seine Eltern verletzt.
3. Eine (verfassungskonforme) Auslegung oder analoge Anwendung von § 1592 Nr. 1 BGB zur Begründung einer Mit-Mutterschaft ist nicht möglich, da der aus der abstammungsrechtlichen Systematik erkennbare gesetzliche Wertungsplan, der für die Vaterschaft als zweiter Elternstelle eine genetische Abstammung zugrunde liegt, auf eine gleichgeschlechtliche Ehe oder Partnerschaft nicht übertragbar ist (im Anschluss an BGH v. 10. Oktober 2018 - XII ZB 231/18, FamRZ 2018, 1919 ff.).
4. Vom personellen Schutzbereich des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist nach Auffassung des Senats auch die Ehefrau der Mutter des Kindes erfasst, weil sich die zentralen Begründungselemente der (verfassungsrechtlichen) Elternschaft bei natürlicher Zeugung auf gleichgeschlechtliche Ehegatten oder Partner übertragen lassen. Denn sie schenken durch ihre Erklärungen im Rahmen der Reproduktionsbehandlung dem daraus hervorgegangenen Kind das Leben und dokumentieren zugleich, und dass sie für dieses dauerhaft und verlässlich Verantwortung tragen wollen.
Verfahrensgang
AG Hildesheim (Aktenzeichen 39 F 30/20) |
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Frage eingeholt, ob § 1592 BGB mit Art. 6 Abs. 2, 6 Abs. 1, 3 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG vereinbar ist.
Gründe
I. Die Antragstellerinnen begehren die Feststellung eines Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen der Antragstellerin zu 2 und dem Kind P. ... (im folgenden P.).
Die Antragstellerinnen zu 1 und 2 leben seit mehr als 20 Jahren in einer festen Partnerschaft und haben am 30. Oktober 2013 eine eingetragene Lebenspartnerschaft begründet. Diese haben sie am 4. Februar 2020 in eine Ehe umgewandelt, die beim Standesamt S. zur Reg.-Nr. E .../2020 eingetragen ist.
Ihren Wunsch, gemeinsam Eltern zu werden, haben die Antragstellerinnen zu 1 und 2 über eine Embryonenspende realisiert. Hierzu haben sie sich im März 2017 bei dem "Netzwerk Embryonenspende Deutschland e.V." registrieren und auf eine Warteliste setzen lassen. In der Folge wurde ein Matching durchgeführt, bei dem auf der Grundlage von Blutgruppen und weiterer Eigenschaften eine möglichst große Ähnlichkeit zwischen den Antragstellerinnen als Wunscheltern und dem aus der Embryonenspende hervorgehenden Kind erreicht werden sollte. Die gespendeten Embryonen, die kryokonserviert waren, stammen von Eltern, die im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung behandelt worden waren. Hierzu wurden Eizellen entnommen und befruchtet. Überzählige Embryonen haben diese Eltern für weitere Paare mit Kinderwunsch dem "Netzwerk Embryonenspende Deutschland e.V." zur Vermittlung zur Verfügung gestellt. Nachdem im November 2018 eine geeignete Embryonenspende vom vorgenannten Netzwerk gefunden worden war, erklärten die Antragstellerinnen zu 1 und 2 am 17. November 2018 ihr Einverständnis mit der vermittelten Spende und unterschrieben den "Aufklärungsbogen zur Embryonenspende zwischen den Wunscheltern und dem Transferzentrum".
Nach dem Aufklärungsbogen dient die Embryonenspende der Behandlung des dringenden Kinderwunsches bei Paaren, bei denen jegliche Behandlung mit eigenen Eizellen und Samenzellen nicht mehr sinnvoll bzw. möglich ist. Weiter heißt es in dem Aufklärungsbogen:
"Die Embryonenspende erfolgt anonym. Die Keimzellengeber, also die Frau bzw. der Mann, deren Ei- bzw. dessen Samenzelle zur Entstehung des vorliegenden Embryos (...) geführt haben, kennen die Wunscheltern (...) nicht. So kennen die Wunscheltern auch das Embryonenspenderpaar nicht. Für die strikte Einhaltung dieser Anonymität zwischen Embryonenspenderpaar und Wunscheltern muss das Kinderwunschzentrum Sorge tragen.
(...)
Mit der beiderseitigen Unterschrift dieses Vertrages geht der Embryo in die Verfügung der Wunscheltern über. Das Kinderwunschzentrum verpflichtet sich, dass der Embryo nur zum Zweck der Erzielung einer Schwangerschaft bei der vorgesehenen Wunschmutter (...) verwendet wird. (...) Die Embryonenspender (...) haben nun auch bezüglich der gespendeten Embryos und der daraus sich entwickelnden Schwangerschaft keine Rechte und auch keine Pflichten mehr.
Alle Kinder haben ein Auskunftsrecht über ihre genetische Herkunft, sobald sie das 18. Lebensjahr erreicht haben. Diese Information obliegt den Eltern des Kindes. (...) Daher hat das Kinderwunschzentrum die lückenlose Rückverfolgung der Daten des Embryospenderpaares und der Wunscheltern sicherzustellen. Demzufolge müssen die Akten des Embryospenderpaares und der Wunscheltern über das 18. Lebensjahr des Kindes hinaus aufbewahrt werden (§ 15 Abs. 2 TPG).
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