Für die bloß relative Bedeutung von Familienbeziehungen unter Erwachsenen möchte ich das Vormundschafts- und Betreuungsrecht als Beispiele nennen. Auf diesen Feldern ist gerade die Familie besonders herausgefordert. Die Sorge für die Kinder, wenn die Eltern ausfallen, oder die Sorge für ein betreuungsbedürftig gewordenes Familienmitglied sind ja traditionelle Felder der familiären Solidarität.
Im heutigen Vormundschaftsrecht spielt die Familie gleichwohl eine relativ schwache Rolle. Zwar sind bei der Auswahl des Vormunds für ein Kind neben anderen Kriterien die Verwandtschaft oder Schwägerschaft mit dem Mündel zu berücksichtigen (§ 1779 Abs. 2 S. 2 BGB).[50] Verwandte und Verschwägerte sind zu hören (§ 1779 Abs. 3 S. 1 BGB).[51] Daraus wird aber von den Gerichten kein Recht der Verwandten auf eine förmliche Beteiligung am Vormundschaftsverfahren hergeleitet.
Nun haben Großeltern beim Bundesverfassungsgericht einen bedeutenden Sieg errungen: Großeltern und andere nahe Verwandte haben ein Recht, bei der Entscheidung über die Auswahl eines Vormunds berücksichtigt zu werden, wenn eine enge familiäre Verbundenheit mit dem Kind besteht;[52] dann sollen sie sogar einen Vorrang genießen.
Die tatsächliche familiäre Verbundenheit hebt auch hier die Verwandtschaft auf ein höheres Schutzniveau. Dann müssten eigentlich die "familiär verbundenen Verwandten" ein eigenes Recht auf Beteiligung am Verfahren bei Bestellung eines Vormunds[53] und, wenn grundlos übergangen, ein Beschwerderecht haben. Das wird ihnen aber bisher nicht zugestanden.[54]
Ähnlich ist die Lage im Betreuungsrecht. Der BGH hat zwar die genannte Großeltern-Entscheidung des BVerfG auch für die Betreuerauswahl übernommen.[55] Doch sieht der BGH darin keine eigene Rechtsposition, die vom Gericht verletzt werden könnte. Zwar können nach § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG bestimmte nahestehende Personen, darunter auch Eltern, Pflegeeltern, Großeltern und Abkömmlinge "im Interesse des Betroffenen" am Bestellungsverfahren beteiligt werden. Daraus ergibt sich nach Meinung des BGH aber kein Anspruch auf Beteiligung aus eigenem Recht; darüber entscheide das Betreuungsgericht nach pflichtgemäßem Ermessen.[56] Die Aufwertung, welche die psycho-sozial gelebte Verwandtschaftsbeziehung durch das BVerfG erfahren hat, scheint noch nicht auf das gesamte Recht auszustrahlen.[57]
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