BGB § 1603 Abs. 2 Satz 1
Leitsatz
a) Die Zurechnung fiktiver Einkünfte setzt voraus, dass der Unterhaltspflichtige die ihm zumutbaren Anstrengungen, eine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden, nicht oder nicht ausreichend unternommen hat und bei genügenden Bemühungen eine reale Beschäftigungschance bestanden hätte.
b) Trotz der nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern können dem Unterhaltspflichtigen fiktive Einkünfte aus einer Nebentätigkeit nur insoweit zugerechnet werden, als ihm eine solche Tätigkeit im Einzelfall zumutbar ist.
BGH, Urt. v. 3.12.2008 – XII ZR 182/06 (OLG Naumburg, AG Zeitz)
Sachverhalt
Tatbestand: Die Parteien streiten um die Höhe des vom Beklagten geschuldeten Kindesunterhalts.
Der Beklagte ist der Vater des am 6.4.1990 geborenen Klägers. Er ist außerdem seinem am 16.5.1992 geborenen weiteren Kind unterhaltspflichtig. Aus einer Vollzeittätigkeit erzielt er monatliche Nettoeinkünfte in Höhe von 1.157,69 EUR. In der Zeit bis zum 14.11.2005 lebte der Beklagte in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und musste Wohnkosten in Höhe von monatlich 266,94 EUR aufwenden. Seit dem 15.11.2005 wohnt er allein und muss für die Wohnkosten incl. Stellplatz/Garage monatlich 318,45 EUR zahlen.
Mit Jugendamtsurkunde vom 5.6.1990 hatte sich der Beklagte verpflichtet, an den Kläger monatlichen Unterhalt in Höhe von 155 DM zu zahlen. Nachdem das Jugendamt ihn aufgefordert hatte, ab Mai 2004 für den Kläger monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 147 EUR zu zahlen, zahlte der Beklagte diesen Betrag und verpflichtete sich mit Jugendamtsurkunde vom 3.8.2004 zur Zahlung dieses Monatsbetrags.
Zuvor hatte der Kläger den Beklagten mit Schriftsatz vom 20.7.2004 aufgefordert, Auskunft über seine Einkommensverhältnisse und Wohnkosten zu erteilen und den sich daraus ergebenden Unterhalt zu zahlen. Im Rahmen der Stufenklage verlangt der Kläger nach Erledigung der Auskunftsstufe von dem Beklagten über den mit der Jugendamtsurkunde anerkannten Unterhalt hinaus weiteren Unterhalt, nämlich insgesamt in Höhe von 100 % des Regelbetrags der 3. Altersstufe gem. § 2 der früheren Regelbetrag-Verordnung.
Das AG hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das OLG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die – vom OLG zugelassene – Revision des Beklagten, mit der er sein Klagabweisungsbegehren weiter verfolgt.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Parteien den Rechtsstreit für die Zeit ab dem 1.8.2008 übereinstimmend für erledigt erklärt.
Aus den Gründen
Entscheidungsgründe: I. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung bei Juris (OLG Naumburg – 4 UF 33/06) veröffentlicht ist, hat die Klage für zulässig und begründet erachtet. Der im Zeitpunkt seiner Entscheidung 16-jährige Kläger sei bedürftig, weil er sich nicht selbst unterhalten könne und auch nicht über Vermögen verfüge. Der Beklagte könne sich gegenüber dem Anspruch auf Kindesunterhalt nicht auf eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit berufen. Er habe nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB alle verfügbaren Mittel zu seinem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Von ihm seien alle zumutbaren Anstrengungen zu erwarten, um seine Leistungsfähigkeit zu erhalten bzw. herzustellen. Um den Regelunterhalt sicherzustellen, sei der Unterhaltspflichtige grundsätzlich auch zur Übernahme einer Nebentätigkeit verpflichtet. Diese Pflicht entfalle nur bei Vorliegen besonderer Umstände im Einzelfall. Zwar schränke die Unterhaltspflicht den Unterhaltsschuldner in seiner durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Handlungsfreiheit ein. Diese sei jedoch nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung geschützt, zu der auch das Unterhaltsrecht gehöre, soweit dies mit Art. 6 Abs. 1 GG im Einklang stehe. Zu einer Nebentätigkeit sei der Unterhaltsschuldner nur verpflichtet, wenn und soweit ihm die Aufnahme dieser zusätzlichen Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zumutbar sei und ihn nicht unverhältnismäßig belaste. Diese Grenze sei vorliegend nicht erreicht.
Dem Beklagten sei neben seiner vollschichtigen Erwerbstätigkeit das Austragen von Zeitungen, Zeitschriften oder Werbematerial an den Wochenenden zumutbar. Dabei sei zu berücksichtigen, dass er seinen Arbeitsplatz am Wohnort habe und an den Wochenenden nicht arbeite. Zwar sei neben der zeitlichen und gesundheitlichen Belastung durch eine solche Nebentätigkeit im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung auch zu berücksichtigen, ob eine Beschäftigungsmöglichkeit überhaupt vorhanden sei. Dafür, dass keine entsprechende Beschäftigungsmöglichkeit bestehe, sei allerdings der Beklagte darlegungs- und beweisbelastet. Weil es an Vortrag hierzu fehle, sei das Familiengericht zu Recht von einer zumutbaren Nebentätigkeit ausgegangen und habe das dadurch erzielbare monatliche Nettoeinkommen zutreffend gem. § 287 Abs. 2 ZPO auf 150 EUR geschätzt. Zusammen mit dem vorhandenen Erwerbseinkommen sei deswegen von einem fiktiven monatlichen Nettoeinkommen in Höhe von 1.307,69 EUR auszugehen. Anhaltspunkte ...