Vorsicht ist inzwischen geboten bei einer lebzeitigen unentgeltlichen Zuwendung "im Wege vorweggenommener Erbfolge". Dies ist kein typisiertes Rechtsinstitut bürgerlichen Rechts. Vielmehr handelt es sich bei diesem oft in "Übergabeverträgen" zu findenden verbreiteten Konzept um ein Rechtsgeschäft unter Lebenden, das oft Schenkung ist, aber nicht sein muss. Der BGH definiert es als "Übertragung von Vermögen (oder eines wesentlichen Teils davon) unter Lebenden vom künftigen Erblasser auf eine oder mehrere als künftige Erben in Aussicht genommenen Position". Hierbei stellt sich die Frage nach seinen Auswirkungen auf das Erb- und Pflichtteilsrecht. Nach einer jüngeren Entscheidung des BGH kann es sich hier zum einen um die Anordnung handeln, die Zuwendung gemäß § 2316 Abs. 1 BGB zur Ausgleichung zu bringen, zum anderen um die Bestimmung, sich die Zuwendung gemäß § 2315 Abs. 1 BGB auf den Pflichtteil anrechnen zu lassen oder schließlich die Zuwendung gemäß § 2316 Abs. 4 BGB sowohl auszugleichen wie auch anzurechnen. Dies sei im Wege der Auslegung im Einzelfall zu ermitteln. Bei der Auslegung sind zu berücksichtigen ein etwaiger Gleichbehandlungswille des Erblassers, der zeitliche Zusammenhang, die Werte von Erbschaft und Übertragungsgegenstand.
Die Formulierung legt der Wortwahl nach laut BGH eher einer Ausgleichungsanordnung nahe. Dies sei aber nicht zwingend; denn auch eine Anrechnungsbestimmung könne konkludent erfolgen. Zur Annahme einer solchen müsse der erkennbare Erblasserwille auf eine Kürzung des dem Empfänger am Restnachlass zustehenden Pflichtteilsrechts gerichtet sein, wobei eine mögliche Enterbungsabsicht noch nicht konkret geworden sein muss. Die Beweislast für eine pflichtteilsmindernde Anrechnung trägt der Erbe.
Immerhin geht der BGH entgegen der bisherigen Rechtsprechung nicht mehr zwingend davon aus, dass eine vorweggenommene Erbfolge zu einer Ausgleichung führt. In den meisten Fällen wird aber wohl eher eine Anrechnungsbestimmung gewollt sein, da die meisten stillschweigend davon ausgehen, dass eine Anrechnung automatisch erfolgen wird. Eine Ausgleichung gegenüber Geschwistern wird ohnehin häufig besser durch eine spätere Verfügung von Todes wegen als durch eine Anordnung nach § 2050 Abs. 3 BGB erfolgen. Auch insofern ist zu befürworten, in weitere Reformüberlegungen die Frage nach der Anrechnung von Zuwendungen erneut mit aufzunehmen.
Der Gestaltungspraxis ist jedenfalls dringend anzuraten, in den Übergabevertrag eine explizite Klarstellung aufzunehmen. Denn der BGH unterlässt es, in seiner Entscheidung darauf hinzuweisen, dass der Erblasser auch nichts von alledem gewollt haben könnte. In diesem träfen ohne eine entsprechende Klarstellung im Vertrag die vom BGH aufgestellten Auslegungsregeln den Willen der Erblasser nicht.