Streitig wurde bislang in der Rechtsprechung und Literatur diskutiert, ob ein Verweis auf einen solchen leistungsfähigen Großelternteil bereits erfolgen darf, wenn der jeweilige angemessene Selbstbehalt der Eltern tangiert ist, oder erst dann, wenn der notwendige Selbstbehalt gefährdet ist.
Abweichend von dem Gesetzestext des § 1603 BGB will eine Meinung, welche bislang als herrschende Meinung angesehen wurde, eine Haftung von entfernteren Verwandten wie den Großeltern erst dann zulassen, wenn der notwendige Selbstbehalt des unterhaltspflichtigen Elternteils durch die Zahlung des von ihm geschuldeten Kindesunterhalts nicht mehr gewahrt wäre, und nicht schon bei Tangierung des angemessenen Selbstbehalts.
Begründet wird diese Auffassung mit der Gesetzessystematik: Soweit § 1606 Abs. 2 BGB die vorrangige Haftung der Kindeseltern vor weiter entfernten Verwandten bestimmt, würde diese vorrangige Haftung der Eltern unterlaufen werden, wenn sich die Eltern ebenso wie die nachrangigen Verwandten nur auf ihren angemessenen Selbstbehalt berufen bräuchten. Ferner würde es zu unbilligen Ergebnissen führen, wenn bei Vorhandensein von besserverdienenden Großeltern ein Unterhaltspflichtiger gegenüber den vorrangigen Kindern erst ab seinem angemessenen Selbstbehalt in Höhe von aktuell 1.400 EUR für deren Unterhalt, gegenüber dem nachrangingen unterhaltsberechtigten Ehegatten aber verschärft mit seinem notwendigen Selbstbehalt, welcher aktuell 1.280 EUR monatlich beträgt, haften würde.
Der BGH hat in seiner aktuellen Entscheidung vom 27.10.2021 dem nunmehr vorherrschenden Teil der Literatur und Rechtsprechung Recht gegeben und hat ebenso wie diese Meinung auf den Wortlaut des § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB verwiesen, wonach die verschärfte Haftung des Elternteils für die Zahlung des geschuldeten Kindesunterhalts nur dann eintreten soll, wenn kein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist.
D.h. der unterhaltspflichtige Elternteil kann seinen angemessenen Selbstbehalt verteidigen, wenn er auf leistungsfähige Großeltern verweisen kann, welche statt seiner den geschuldeten Kindesunterhalt zahlen können.
Zur Begründung zieht der BGH nicht nur den klaren Wortlaut des Gesetzes heran, sondern auch den ursprünglichen Willen des Gesetzgebers, wonach der unterhaltspflichtige Elternteil ein Recht auf Selbsterhaltung hätte. Er soll nur dann verschärft für seine unverheirateten minderjährigen Kinder haften, wenn nicht ein anderer Verwandter zum Unterhalt verpflichtet werden könne. Der Gesetzgeber habe die Möglichkeit, dass unterhaltsverpflichtete Eltern bestrebt sein würden, diese Unterhaltslast auf andere abzuwälzen, als fernliegend angesehen. Nach der damaligen moralischen Vorstellung hätte es sich von selbst verstanden, dass die Eltern sich zunächst soweit einzuschränken hätten, als dies mit ihrer Lebensstellung vereinbar sei. An dieser gesetzgeberischen Konzeption habe sich nach Auffassung des BGH bis heute nichts geändert, daher könnten die Grundgedanken der Gesetzesgeber auf die modernen Familien nach wie vor übertragen werden.
Der BGH sieht zudem die Subsidiaritätsregel in § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB auch als eine Option zur Entlastung der Kindeseltern, denn diese Option soll der Beschränkung der mit der gesteigerten Unterhaltspflicht einhergehenden besonderen Belastung der Kindeseltern dienen. Das in § 1606 BGB getroffene Rangverhältnis der Unterhaltspflichtigen würde dadurch, dass die Haftung der Großeltern bereits bei Tangierung des angemessenen Selbstbehalts eingreifen würde, nicht in Frage gestellt werden.