Einführung
Der Dritte Internationale Familienrechtstag der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht fand vom 11. bis 12.2.2022 statt und war mit fast 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine gut besuchte und gelungene Veranstaltung. Die Vorträge der renommierten Referent(inn)en stießen auf großes Interesse und regten das Publikum zu Anmerkungen und Nachfragen an – allerdings nur im Chat. Denn die Tagung musste wegen der Corona-Pandemie online stattfinden.
Die neue Brüssel IIb-Verordnung tritt am 1.8.2022 in Kraft. Sie enthält die Vorschriften über die Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und Fragen der elterlichen Verantwortung und über Kindesentführung in der Europäischen Union. Die Verordnung gilt unmittelbar und ist höherrangiges Recht, wie die anderen Rechtsakte der Europäischen Union: die Rom III Verordnung, die EU Unterhaltsverordnung, das Haager Kinderschutzübereinkommen und das Haager Kindesentführungsübereinkommen.
Prof. Dr. Katharina Lugani von der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf stellte in ihrem Strukturvergleich wenig radikale Änderungen, aber viele Änderungen kleinen und mittleren Ausmaßes fest, wenig Änderungen in Ehesachen, dagegen vieles in Kindschaftssachen. Das Kindeswohl, schon im Fokus der Vorgänger-Verordnung "Brüssel IIa", wird noch klarer betont. Außerdem seien im Vergleich die Verfahren vereinfacht und beschleunigt worden, gleichzeitig gebe es mehr Detailfreude für rechtssichere und transparente Verfahren, erklärte Prof. Lugani in ihrem lebendig vorgetragenen und gut strukturierten Vortrag. Auch der DAV habe sich an der Revision der für das Familienrecht so wichtigen Verordnung beteiligt, teilte Rechtsanwältin Eva Becker, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Familienrecht, zu Beginn der Tagung mit. So sei die Berücksichtigung der Anhörungsrechte von Kindern im Verfahren in die Regelungen aufgenommen worden.
I. Ehescheidung außerhalb gerichtlicher Verfahren
In Deutschland liegt das Scheidungsmonopol bei den Gerichten, auch die Ehen von Ausländern können hierzulande nur richterlich geschieden werden. Weltweit sieht das ganz anders aus, Privatscheidungen sind in vielfältigen Formen verbreitet. So wird zum Beispiel im jüdischen Recht der Scheidungsbrief überreicht, in Ostasien, Süd- und Mittelamerika kann die Ehe durch einen Vertrag geschieden werden. Auch in Europa gebe es einen Trend zu mehr Autonomie, referierte Rechtsanwältin Dr. Jennifer Antomo, Akad. Rätin a.Z. an der Universität Mainz. Zuerst sei die außergerichtliche Scheidung 2014 in Italien eingeführt worden, die Ehe mit Kindern müsse jedoch vom Staatsanwalt geschieden werden. Eine Ehe ohne Kinder kann ihr rechtskräftiges Ende vor dem Standesamt finden, zu einer Gebühr von 16 EUR. Spanien war das zweite EU-Land, das seit 2015 Ehescheidungen durch einen Rechtspfleger erlaubt und in Frankreich schließlich wurde unlängst die extremste Form der außergerichtlichen Scheidung in Europa etabliert. Ein Scheidungsvertrag, anwaltlich unterstützt, wird an einen Notar weitergeleitet, der die Scheidung registriert. Eine inhaltliche Prüfung findet nicht statt. Welche Komplikationen bei der Anerkennung von Privatscheidungen aus Drittstaaten oder aus der EU auftreten können, zeigte Jennifer Antomo an zahlreichen Beispielen. Oft geht es um die Frage, ob bei der Scheidung im Ausland noch eine staatliche Behörde in irgendeiner Form beteiligt war. Das könnte zum Beispiel auch ein Scharia-Gericht sein, also eine geistliche Stelle. Notar- oder Rechtspflegerscheidungen werden anerkannt, aber schwierig wird es, wenn gar keine staatliche Beteiligung mehr zu erkennen ist.
II. Unterhalt grenzüberschreitend
Über den grenzüberschreitenden Unterhalt referierte Jörg-Michael Dimmler, Richter am Oberlandesgericht Stuttgart. Der Abänderungsantrag, die Präklusion und die Vollstreckung gehören zu den besonderen Herausforderungen des Familienrechtspraktikers. Dimmler sprach von den "drei heißen Eisen" im ohnehin "undurchdringlichen Dschungel" des internationalen Familienrechts. Wenn sich die Bedingungen ändern, die einer Entscheidung oder Vereinbarung zugrunde liegen, haben die Beteiligten ein berechtigtes Anliegen, die Unterhaltsverpflichtungen anzupassen. Das gelte nicht nur für inländische, sondern auch für ausländische Unterhaltstitel. Allerdings müsse zunächst die internationale Zuständigkeit geprüft werden, in Deutschland sei das in jeder Instanz nötig. Die Zuständigkeit richtet sich hier seit dem 1.6.2011 nach der europäischen Unterhaltsverordnung, kurz, EuUntVO. Sie gilt universell, auch gegenüber Drittstaaten.
Komplizierter könne es bei der Anerkennung von Entscheidungen aus Drittstaaten werden, erläuterte Dimmler. Als erstes müsse geprüft werden, ob es sich überhaupt um eine Unterhaltsentscheidung handelt oder ob es nicht eine güterrechtliche Auseinandersetzung gewesen ist. Es gibt auch Leistungen, die sowohl unterhalts- als auch güterrechtlichen Zwecken dient. Diese Fälle können dann nur teilweise der EuUntVO unterfallen. Welche Bedeutung das Auslandsunterhaltsgesetz (AUG) hat, wann das Haager Unterhaltsprotokol...