Der DAV sieht Nachbesserungsbedarf in Bezug auf gerichtliche Entscheidungen und öffentliche Urkunden der Mitgliedstaaten, die auf Geburten in Drittstaaten beruhen. Der Kommissionsentwurf stellt insofern keine einheitlichen Mindeststandards auf, obgleich mitgliedstaatliche Anerkennungsentscheidungen der Elternschaft unionsweite Bindungswirkung entfalten sollen. Die bezweckte Harmonisierung von Elternschaft innerhalb der EU sollte daher ebenfalls – trotz der generellen Unanwendbarkeit der Verordnung in Bezug auf gerichtliche oder behördliche Entscheidungen in oder von Drittstaaten – wesentliche Grundlagen ihrer Implementierung regeln. Mitgliedstaatliche Entscheidungen, die auf drittstaatlichen Vorbedingungen und Sachverhalten, z.B. Geburt durch eine Leihmutter, beruhen, sollten im Lichte des gegenseitigen Vertrauens in die jeweiligen Rechtssysteme auf unionsweit einheitlichen Prüfungsparametern beruhen. Zu diesem Zweck könnte Art. 26 Abs. 1 lit. a) Kommissionsentwurf (VO-Vorschlag) ergänzt werden, indem in jedem Fall für die Beweiskraft der gerichtlichen oder behördlichen Entscheidung eine Geburtsbescheinigung erforderlich ist und vorgelegt werden muss. Diese sollte auch Gegenstand der auszustellenden Bescheinigung gem. Anhang I i.S.v. Art. 29 Abs. 1 VO-Vorschlag und Anhang II gem. Art. 37 Abs. 1 VO-Vorschlag sein. Für andere öffentliche Urkunden i.S.v. Art. 45 Abs. 1 VO-Vorschlag könnte das Formblatt in Anhang III (Art. 45 Abs. 3 VO-Vorschlag) entsprechend ergänzt werden.
Zudem bestehen erhebliche Bedenken, soweit in Art. 6 VO-Vorschlag frei wählbare gerichtliche Zuständigkeiten vorgesehen sind. Derartige Regelungen leisten einem "Forum Shopping" Vorschub, was es insbesondere im grenzüberschreitenden Kontext zu vermeiden gilt. Eine alternative Anknüpfungsleiter (Kaskade), die auf den gewöhnlichen Aufenthalt der gebärenden Person oder des Kindes abstellt, wäre dem Schutz und den Interessen der betroffenen Kinder sowie der Eltern dienlicher.
Erhebliche Bedenken bestehen auch gegenüber der Regelung in Art. 17 Abs. 2 VO-Vorschlag, wonach trotz der Achtung der Souveränität nationalstaatlicher Abstammungsrechte ergänzend das Recht des Mitgliedstaates der Geburt oder der Staatsangehörigkeit des weiteren (putativen?) Elternteils angewendet werden soll. Damit würden nationale Elternschaftsrechte zum einen ausgehöhlt und zum anderen in Bezug auf die Rechtsanwendung weitreichende strukturelle und qualitative Veränderungen notwendig. Die Regelung setzt vertiefte Kenntnisse der einzelnen mitgliedstaatlichen Abstammungsrechte bei allen zuständigen Richter:innen und behördlichen Mitarbeiter:innen voraus. Insoweit müssten, wenn keine präferablen europaweit geltenden Mindeststandards konsensfähig sind, um den Grundsatz des gesetzlichen Richters (iura novit curia) erfüllen zu können, qualifizierte Entscheider für einzurichtende Europäische Abstammungsabteilungen in den Mitgliedstaaten ausgebildet und in Netzwerken verbunden werden. Der Kommissionsentwurf verhält sich zu dieser Problematik bislang nicht.