Die Rücknahme des Scheidungsantrags hat zur Folge, dass das Verfahren als nicht rechtshängig geworden anzusehen ist, vgl. § 269 Abs. 3 S. 1 Halbs. 1 ZPO. Ein zuvor ergangener, noch nicht rechtskräftig gewordener Beschluss wird wirkungslos; es bedarf dazu keiner ausdrücklichen Aufhebung, vgl. § 269 Abs. 3 S. 1 Halbs. 2 ZPO.

Eine solche Rücknahme des Scheidungsantrags kann taktische Gründe haben. Mitunter wird ein Scheidungsantrag gestellt, um bestimmte Stichtage zu fixieren, etwa für den Zugewinnausgleich. Stellt sich im Nachhinein heraus, dass der Gegner wirtschaftlichen Erfolg mit seinem Unternehmen hat, Ackerland unerwartet zu Bauland wurde oder ein Lottogewinn angefallen ist, wird durch die Rücknahme und das spätere erneute Einreichen des Scheidungsantrags ein erhöhter Zugewinnausgleichsanspruch möglich. Umgekehrt kann mit dieser Strategie auch ein hoher Zugewinnausgleich vermieden werden, etwa wenn seit Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags ein erheblicher Verlust z.B. mit Wertpapieren eingetreten ist.

Stolperfalle:

Ist die Antragsgegnerin/der Antragsgegner anwaltlich vertreten, muss diese Strategie durch einen "zweiten" Scheidungsantrag unterbunden werden.[34]

Die Antragsgegnerin/der Antragsgegner kann innerhalb des bereits eingeleiteten Scheidungsverfahrens einen zweiten Scheidungsantrag stellen, obwohl Identität des Streitgegenstands besteht. Der zweite Scheidungsantrag wird bedeutsam, wenn der zuvor von der Gegenseite gestellte Scheidungsantrag zurückgenommen wird. Erfüllt der zweite Scheidungsantrag in einem solchen Fall die formellen Voraussetzungen einer Antragsschrift, dann ist trotz der Rücknahme des Erstantrags die Scheidung – unterstellt die Ehe ist i.S.d. §§ 1565 ff. BGB gescheitert – zu vollziehen. Die für den Versorgungsausgleich bzw. den Zugewinnausgleich maßgeblichen Stichtage werden in solchen Fällen durch den Eintritt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags bestimmt, der das zur Scheidung führende Verfahren ausgelöst hat.[35]

Die wichtige Konsequenz dieses zweiten Scheidungsantrags ist damit, dass ein günstiger Stichtag für den Zugewinnausgleich bestehen bleibt, die Rücknahme des Erstantrags also folgenlos bleibt.

 
Hinweis

Praxishinweis:

War die Antragsgegnerin/der Antragsgegner im Scheidungsverfahren nicht anwaltlich vertreten, stellt seine Zustimmung zur Scheidung kein Verhandeln im Sinne §§ 113 Abs. 1 FamFG, 269 Abs. 1 ZPO dar, weshalb es seiner Zustimmung zur Rücknahme des Antrags nicht bedarf. Ein Ehescheidungsantrag kann in einem solchen Fall sogar bis zur (formellen) Rechtskraft der Scheidung gegenüber dem erstinstanzlichen Gericht zurückgenommen werden; der Einlegung einer Beschwerde bedarf es nicht.[36]

[34] Vgl. dazu Kogel, Strategien beim Zugewinnausgleich, 7. Aufl. 2022, Rn 582.
[35] Schulte-Bunert/Weinreich/Roßmann, FamFG, § 124 Rn 5, 6.
[36] Vgl. OLG Oldenburg FuR 2014, 604 mit Praxishinweis von Viefhues.

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