Martin Reißig 2009, 582 Seiten, 49 EUR, Deutscher Anwaltverlag, ISBN 978-3-8240-1070-7
Ursprünglich hatte der Deutsche Anwaltverlag den Arbeitstitel "Der Versorgungsausgleich: Die Auswirkungen der Strukturreform 2009" beworben. Stattdessen liegt nun ein Praxishandbuch zum Versorgungsausgleich vor. Ungewöhnlich, umfassend, für den mit Familiensachen befassten Anwalt ein Nachschlagewerk für den täglichen Gebrauch. Unentbehrlich deswegen, weil Sprachbesonderheiten, Denkschemata, renten-, versicherungs- und versorgungsrechtliche Fachbegriffe so erschlossen werden, dass der Nutzer "richtig fragen und verstanden werden" kann, und das in einer Materie, die man bislang als unflexibles Expertenrecht bezeichnen durfte.
Der Autor Martin Reißig ist Rentenberater und Gutachter für den Versorgungsausgleich. Seine langjährige Erfahrung mit der Materie scheint die unerlässliche Voraussetzung dafür gewesen zu sein, nicht nur den Gesetzestext souverän und präzise zu erläutern (Teil A), sondern auch die einzelnen Versorgungssysteme anhand von Abbildungen und Musterberechnungen zu beschreiben (Teil B) mit dem ausdrücklich erklärten Ziel, Auskünfte der Versorgungsträger überprüfen zu können. Wertetabellen, Checklisten und eine Urteilssammlung sind ganz auf die Praxiserfordernisse sorgfältig begrenzt (Teil C).
Ehezeitliche Ansprüche führen zur Ausgleichspflicht, aber nur in seltenen Fällen fällt ein einziges Versorgungssystem pro Scheidung in den Versorgungsausgleich: Rentenversicherung, versicherungsförmige Anwartschaften, Beamtenversorgung, berufsständische und betriebliche Versorgungen sowie Zusatzversorgungen sind allesamt praxisgerecht mit ihren jeweiligen Besonderheiten dargestellt. Begriffserläuterungen und hervorgehobene Merksätze sind einprägsam und verständlich, die grafische Darstellung der Beispiele erleichtert den Umgang mit der schwierig gebliebenen Materie ebenso wie die behutsam verwendeten Fußnoten.
Das Versorgungsausgleichsgesetz enthält manche Vorschriften, die im früheren Recht nicht vorkamen, zum Beispiel die Regelung bei Geringfügigkeit von Anrechten gleicher Art, schwieriger als es der Gesetzestext vermuten lässt, hilfreich in der Darstellung:
Nur Anrechte, die sich in Struktur, Wertentwicklung, Risikoabsicherung und anderen wertbildenden Faktoren entsprechen, können im Saldenausgleich zu annähernd gleichem Ergebnis wie ein Hin-und-Her-Ausgleich führen. Bei betrieblichen Versorgungen aus unterschiedlichen Durchführungswegen kann regelmäßig nicht von Anrechten gleicher Art ausgegangen werden. Es ist auch denkbar, dass es der ausgleichsberechtigten Person gerade durch einen geringfügigen Ausgleich gelingt, eine eigene Anwartschaft so aufzufüllen, dass hierdurch eine Wartezeit für den Bezug der Rente erfüllt ist. Diese Denkweise und die Berechnungsbeispiele helfen bei der Beurteilung.
Bei einer Ehedauer von bis zu drei Jahren wird der Versorgungsausgleich grundsätzlich ausgeschlossen, jedoch auf Antrag einer Partei durchgeführt. Ein hoher Anrechtserwerb in kurzer Zeit auf Seiten nur eines Ehegatten ist nicht ungewöhnlich. Der anwaltliche Berater sollte aus Haftungsgründen genau prüfen, in welcher Höhe sich ein Verzicht auf das Antragsrecht auswirkt. Es bietet sich an, den Antrag zunächst zu stellen, um den Ausgleichswert ermitteln zu lassen. Wenn sich nur ein geringfügiger Ausgleichswert ergibt, wäre dieser Punkt haftungsrechtlich geklärt und der Antrag kann zurückgenommen werden. Aber auch ein geringer Ausgleichswert kann durch Vereinbarung im Zugewinn mit ausgeglichen werden. Sollte die vertretene Partei ausdrücklich auf die Antragstellung verzichten, wird sich der Anwalt dies durch eine aufklärende Haftungsfreistellung bestätigen lassen.
Mehr denn je ist der Anwalt zur Vermeidung von Haftungsfällen gefordert, seinem Mandanten die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs "zukunftsgerichtet" zu erläutern: Bei der internen Teilung von Betriebsrenten erhält die ausgleichsberechtigte Person die versorgungsrechtliche Stellung eines ausgeschiedenen Arbeitnehmers ohne arbeitsrechtliche Beziehung zum Arbeitgeber. Die damit verbundenen Rechte können umfassend "zur Belehrung" den "Fragen und Antworten zur Betrieblichen Altersversorgung" entnommen werden. Praxisgerecht!
Der Wichtigkeit wegen ist ein besonderes Kapitel den erweiterten Regelungsbefugnissen der Ehegatten gewidmet mit ihren Möglichkeiten, Inhalten und Grenzen von Vereinbarungen.
Der Autor weist ferner darauf hin, wann Rentenberater und Aktuare "hilfreich und unverzichtbar" sind, um den anwaltlichen Berater zu unterstützen. Er vermutet, dass es für Rechtsanwälte zu zeitintensiv und zu haftungsträchtig sei, gestaltende Vereinbarungen auszuarbeiten, und daher nur vermögende Parteien die neuen Spielräume nutzen. Ich sehe das anders. Gerade das Praxishandbuch zeigt, wie notwendig die "Vernetzung" von Scheidungsanwälten mit Rentenberatern und Aktuaren ist – wer sonst hilft zum Beispiel bei der Ermittlung und Prüfung von korrespondierenden Kapitalwerten der Anrechte der Be...