Dr. Christine Hohmann-Dennhardt
Zuständig für die Anpassung des Familienrechts an derartige gesellschaftliche Entwicklungen sind zunächst einmal die nationalen Gesetzgeber, die hierbei durchaus auch rechtsvergleichend die Lösungen betrachten, die für das jeweils anstehende und zu regelnde Problem in anderen Ländern gefunden wurden. Allerdings müssen sie stets auch die Tradition des bisherigen, im eigenen Land bestehenden Rechts, die rechtspolitische Diskussion darüber und die Einstellungen der Bevölkerung dazu berücksichtigen. Deshalb erstaunt nicht, dass es im nationalen Familienrecht in Europa zwar ein paar gleich verlaufende Entwicklungslinien gibt. So hat sich zum Beispiel inzwischen in so gut wie allen europäischen Rechtsordnungen das Kindeswohl als entscheidender Maßstab und damit "europäischer Standard" für Rechtszuweisungen in familiären Konfliktfällen durchgesetzt. Doch ansonsten sind die familienrechtlichen Regelungen großenteils recht unterschiedlich, man denke nur an diejenigen über den Zugang zur Ehe und zu sonstigen rechtlich geregelten Partnerschaften, über die Klärung der Abstammung eines Kindes oder das Verhältnis der leiblichen zur rechtlichen oder sozialen Elternschaft. Insofern haben sich die nationalen Verfassungsgerichte mit unterschiedlichen Prüfgegenständen zu befassen und müssen bei der Beurteilung der jeweiligen landesspezifischen Regelungen im Hinblick auf deren Verfassungsverträglichkeit die Rechtskontexte berücksichtigen, in denen diese stehen. Zudem haben sie den Gestaltungsspielraum ihres nationalen Gesetzgebers zu respektieren und dessen Einschätzungsprärogative zu beachten. Der Wunsch nach mehr Vereinheitlichung des Familienrechts in Europa hat dabei draußen vor zu bleiben. Er darf für die Rechtsprechungsorgane kein Beweggrund ihrer Entscheidungen sein. Dies gilt letztlich auch für den EGMR. Dessen Aufgabe ist nicht, Rechtsangleichung zu betreiben. Er hat vielmehr nur gleiches Maß an die unterschiedlichen Regelungen der nationalen Familienrechte anzulegen, wenn er deren Menschenrechtskonformität überprüft. Hierdurch mag ein gewisser Druck auf die nationalen Gesetzgeber entstehen, ihre Rechte in ähnlicher Weise auszugestalten. Doch ob sie dies tun, liegt allein in ihrer Entscheidungskompetenz. Ein ausgeprägter und weit verbreiteter Wille zur Vereinheitlichung des Familienrechts in Europa ist jedenfalls derzeit nicht ersichtlich. Schon das Bemühen, sich in der EU auf eine gemeinsame Regelung zu verständigen, die bestimmt, welches nationale Scheidungs- und damit auch Scheidungsfolgenrecht bei binationalen Ehepaaren Anwendung finden soll, kommt nur mühsam voran. So bleibt die Verschiedenartigkeit der nationalen Regelungen des Familienrechts Fakt, auf deren jeweilige Besonderheiten sich die nationalen Gerichte wie der EGMR einzulassen haben.
Dies trifft auch für die gemeinsame Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern für ihr Kind zu. Wie der EGMR in seiner Entscheidung selbst dargelegt hat, ist sie zwar inzwischen in fast allen Mitgliedstaaten auf der Basis der Zustimmung beider Elternteile vorgesehen. Doch bei mangelnder Einigung der Eltern sehen die Rechtsordnungen unterschiedliche Lösungen vor, die vom absoluten Vetorecht der Mutter, das eine gemeinsame elterliche Sorge ausschließt, über die Möglichkeit gerichtlicher Einzelfallentscheidung darüber bis zum (Mit)Sorgerecht des Vaters Kraft Gesetzes reichen. Allerdings lässt sich beim Rechtsvergleich mittlerweile der Trend erkennen, das Sorgerecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes rechtlich an sein Anerkenntnis der Vaterschaft zu koppeln.