In einer Entscheidung vom 29.3.2022 hat der 10. Familiensenat des OLG Brandenburg in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH entschieden, dass die Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil nach § 1671 BGB entbehrlich machen kann, soweit sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt. Darüber hinaus sei, so der Senat, eine ausreichend Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern erforderlich, soweit eine Kommunikation zukünftig trotz der vorhandenen Vollmacht notwendig ist.
Auch das OLG Köln hat sich mit der Frage der Entbehrlichkeit der Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge bei angebotener Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht auseinandergesetzt, jedoch in einem völlig anderen Zusammenhang. In diesem Verfahren hatte der Kindesvater des verfahrensbetroffenen Kindes die zum Tatzeitpunkt 12jährige Halbschwester des Jungen im Beisein eines weiteren (3jährigen) Kindes sexuell missbraucht und war deshalb zu einer Freiheitstrafe verurteilt worden. Da er, nachdem zwei Jahre überhaupt kein Kontakt bestanden hatte, eine notwendige Unterschrift von der Gewährung von Umgang abhängig gemacht hat, hob das AG auf Antrag der Kindesmutter die gemeinsame elterliche Sorge auf und übertrug sie ihr zur alleinigen Ausübung. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat der Senat zurückgewiesen. Die erforderliche tragfähige soziale Beziehung zwischen den Kindeseltern sei schon aufgrund des sexuellen Missbrauchs der Stieftochter, der auch Anlass der Trennung gewesen sei, nicht gegeben. Die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge sei auch notwendig, da die Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht kein weniger einschneidendes, geeignetes Mittel darstellen würde. Auch in der Zukunft würden Mitwirkungshandlungen des Kindesvaters notwendig werden, da der Sohn nicht alleine die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Eine solche, auch minimale, Zusammenarbeit, sei der Kindesmutter vor dem Hintergrund der Anforderungen, die Art. 31 Istanbul Konvention an sorgerechtliche Maßnahmen stelle, jedoch nicht zuzumuten. Sowohl die Stieftochter als Opfer als auch die Kindesmutter und das verfahrensbetroffene Kind seien als weitere Betroffene zu schützen. Das sich aus Art. 6 Abs. 2 GG ergebende Elternrecht des Kindesvaters habe, so der Senat abschließend, vor diesem Hintergrund zurückzustehen, um die familiäre Beziehung zwischen der Kindesmutter und ihrer Tochter auf der einen Seite, aber auch die Beziehung des Sohnes zu seiner Schwester auf der anderen Seite zu schützen.
Auch das OLG Dresden hält den beabsichtigten Antrag der Kindesmutter auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf ihre Person trotz erteilter Vollmacht nicht für mutwillig, wenn der Kindesvater gedroht hat, er wolle sich eine "Knarre" kaufen und die Kindesmutter hinrichten, wenn das Kind nicht binnen 10 Tagen in seinen Haushalt wechsele.
Für die Praxis interessant ist sicherlich auch die Entscheidung des OLG Celle vom 14.7.2022, mit der die Beschwerde der Kindesmutter gegen die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Kindesvater, obwohl das Kind zuvor bei ihr gelebt hatte, zurückgewiesen wurde. Hintergrund der Entscheidungen des AG und OLG war der Umstand, dass die Kindesmutter mit allen Mitteln über Jahre versucht hat, jeglichen Kontakt der zwei Töchter zum Kindesvater zu unterbinden und auch Medien, Opferschutzeinrichtungen, Ärzte, Strafverfolgungsbehörden und Therapeuten für ihre Interessen einspannte.