KG, Beschl. v. 24.8.2022 – 16 UF 64/22
1. Bei einer Religionszugehörigkeit eines Elternteils zu den Zeugen Jehovas kann die Frage einer konkret nicht anstehenden Bluttransfusion nicht durch Übertragung der Entscheidungsbefugnis nach § 1628 BGB oder durch Übertragung eines Teils der elterlichen Sorge nach § 1671 BGB auf den anderen Elternteil nicht abstrakt und vorab geklärt werden.
2. Aus der grundsätzlich ablehnenden Haltung eines Elternteils gegenüber Bluttransfusionen kann nicht abstrakt im Vorfeld geschlossen werden, dass dieser sich bei nicht hinreichenden alternativen Behandlungsmethoden auf Kosten der Gesundheit oder des Lebens seines Kindes auch unter Berücksichtigung des heranreifenden Kindes gegen eine Bluttransfusion entscheiden würde.
3. Die Einwilligungsfähigkeit hinsichtlich einer ärztlichen Behandlung oder eines ärztlichen Eingriffs ist bei Jugendlichen in aller Regel erst ab dem 14. Geburtstag anzunehmen.
4. Im Notfall, also einem akuten und unaufschiebbaren Eingriff, wird sich das behandelnde ärztliche Personal am mutmaßlichen Willen des Patienten bzw. seiner Eltern orientieren. Ist der mutmaßliche Wille nicht zweifelsfrei zu ermitteln, ist zu vermuten, dass eine erforderliche Bluttransfusion oder die Verabreichung anderer Blutprodukte im wohlverstandenen Interesse des Patienten liegt.
5. Widerspricht ein allein vertretungsberechtigter Elternteil aus religiösen Gründen einer zwingend erforderlichen Transfusion, wäre das Familiengericht gemäß § 1666 Abs. 1, 3 BGB anzurufen, da eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge im Raum stünde. Im Notfall ist eine gerichtliche Entscheidung nicht abzuwarten; vielmehr ist der Arzt dann verpflichtet, das Leben und die Gesundheit des Kindes durch medizinisch notwendige Maßnahmen zu schützen.
(red. LS)
OVG Magdeburg, Urt. v. 22.11.2022 – 4 L 277/21
Die Entscheidung des Familiengerichts, einer Großmutter die elterliche Sorge für ihre minderjährigen Enkelkinder nach § 1630 Abs. 3 BGB zu übertragen, entfaltet hinsichtlich ihrer persönlichen Eignung keine Bindungswirkung im Verfahren nach § 27 Abs. 1 S. 1, Abs. 2a SGB VIII.
2. Zum Umfang der Mitwirkungspflicht bei der Prüfung der Eignung der Pflegeperson im Rahmen der Verwandtenpflege.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 10.2.2023 – 15 UF 267/22
1. Eine widerrechtliche Kindesentführung innerhalb Deutschlands hat nicht einen automatischen Rückführungsmechanismus zur Konsequenz.
2. Hat ein Elternteil einen Umzug innerhalb Deutschlands gegen den Willen des anderen Elternteils vollzogen, so ist dies zum Ausgangspunkt der Sorgerechtsentscheidung zu nehmen. Es ist weder auf eine Rückkehr noch auf einen Nachzug des anderen Elternteils abzustellen, auch wenn die räumliche Nähe zu beiden Eltern dem Kindeswohl am besten entspräche.
3. Die Entscheidung, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht gemäß § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB zu übertragen ist, ist allein am Kindeswohl auszurichten und hat die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie den Kindeswillen. Dabei ergibt sich aus dem Wegzug mit den Kindern aus dem bisherigen Umfeld allein weder eine generelle noch eine vermutete Kindeswohlschädlichkeit.
4. Eine Geschwistertrennung ist nur in besonderen Ausnahmefällen zu bejahen, etwa wenn die Kinder bevorzugen, beim jeweils anderen Elternteil zu leben, wenn die Hauptbezugsperson für die Geschwister unterschiedlich war oder ein größerer Altersunterschied zwischen den Geschwistern besteht.
(red. LS)