Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Frage der (hier abgelehnten) Übertragung der Entscheidungsbefugnis für die Vornahme einer Bluttransfusion auf den Vater, wenn die Mutter der Religionsgruppe Zeugen Jehovas angehört
Verfahrensgang
AG Berlin-Pankow/Weißensee (Aktenzeichen 28 F 2982/21) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Pankow vom 23. März 2022 - 28 F 2982/21 - teilweise abgeändert und hinsichtlich Ziffer 2 des Tenors folgendermaßen neu gefasst:
Der Antrag des Vaters, ihm die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Frage der Vornahme einer Bluttransfusion und Operationen, für die eine Bluttransfusion erforderlich sein könnte, für den gemeinsamen Sohn ... S ..., geboren am ... 2009, zu übertragen, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der ersten und zweiten Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
3. Der Beschwerdewert wird auf 4.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Mutter wendet sich gegen den Beschluss des Amtsgerichts Pankow, soweit ihr mit diesem die Entscheidungsbefugnis über die Vornahme einer Bluttransfusion und zu Operationen, für die eine Bluttransfusion erforderlich ist, bezüglich des Kindes ... S ..., geboren am ... 2009, entzogen und auf den damit allein entscheidungsbefugten Vater übertragen wurde.
Die Eltern leben seit 2012 getrennt. Zwischen den Eltern waren zahlreiche familiengerichtliche Verfahren zum Umgang und zum Sorgerecht rechtshängig. Der Mutter wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und auf den Vater zur alleinigen Ausübung übertragen. Im Übrigen bestand das gemeinsame Sorgerecht fort.
Der Vater hat ein sorgerechtliches Verfahren eingeleitet, in dem er zuletzt nur noch die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Vornahme einer Bluttransfusion bzw. über Operationen, für die eine Bluttransfusion erforderlich ist, begehrt hat.
Die Mutter hat beantragt, diesen Antrag zurückzuweisen, was sie mit ihrer Religionszugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas begründet und darauf verwiesen hat, dass die Bibel ein Verbot von Bluttransfusionen beinhalte.
... ist am 22. Februar 2022 angehört worden. Auf die Frage, welche Auffassung er zu einer erforderlichen Bluttransfusion in dem hypothetischen Fall eines Unfalls oder einer Operation vertrete, hat er mitgeteilt, dass seine Mutter wegen ihrer Religion gegen eine Bluttransfusion sei, sein Vater aber eine solche befürworten würde. Er selbst wolle eine Bluttransfusion haben, sollte eine solche erforderlich sein. Auf den Anhörungsvermerk vom 22. Februar 2022 wird Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 23. März 2022 dem Vater die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Vornahme einer Bluttransfusion und zu Operationen, für die eine Bluttransfusion erforderlich sein könnte, bezüglich des Kindes ... S ... übertragen. Seine Entscheidung hat es auf §§ 1628 Satz 1, 1697a BGB gestützt. Hinsichtlich aller Einzelheiten wird auf die Gründe des Beschlusses vom 23. März 2022 verwiesen.
Gegen diese Entscheidung im Beschluss des Amtsgerichts hat die Mutter am 25. April 2022 Beschwerde eingelegt. Eine Bluttransfusion oder eine Operation, die eine Bluttransfusion gegebenenfalls erforderlich machen könnte, stehe nicht an. Ein Beratungsprozess durch ärztliche Fachkräfte habe nicht stattgefunden. Bei der Entscheidung handele es sich um eine unzulässige Vorratsentscheidung, die modifizierte Positionen innerhalb der Glaubensgemeinschaft nicht berücksichtige. Zudem sei ... bereits im 13. Lebensjahr; seine eigene Meinung gewinne zunehmend an Bedeutung, sei aber noch nicht gefestigt, so dass eine Entscheidung unter Berücksichtigung des Kindeswillens nur anhand des konkreten Vorfalls getroffen werden könne.
Der Vater tritt dem entgegen und verteidigt die amtsgerichtliche Entscheidung. Zwar stehe keine konkrete Behandlungsentscheidung für ... an. Ein Unfall oder eine Sportverletzung, bei der eine Operation nötig sei, könne aber jederzeit passieren. Zeit für eine gerichtliche Klärung sei dann gegebenenfalls nicht vorhanden. Auch in einem Notfall dürften sich die Ärzte nicht über einen erklärten Willen der Mutter hinwegsetzen. Die Ablehnung von Bluttransfusionen sei bei den Zeugen Jehovas ein zentrales Thema, so dass davon auszugehen sei, dass die Mutter sich dazu eine abschließende Meinung gebildet habe. Diese weiche von der Haltung des Vaters ab. ... lehne die Religion der Zeugen Jehovas ab, so dass nicht anzunehmen sei, dass sich seine Haltung zu Bluttransfusionen in den nächsten Jahren ändern werde.
Die Verfahrensbeiständin hat mit Schreiben vom 25. Juni 2022 darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung gemäß § 1628 BGB von den gemeinsam sorgeberechtigten Eltern im Falle einer von Ärzten empfohlenen Bluttransfusion zu treffen sei, sofern kein akuter Notfall bestehe, in dem das ärztliche Personal ohne Rücksprache transfundieren könne. Auch wenn die Entscheidung des Amtsgerichts aufgrund der Verunsicherung einiger Ärzte über ihre Handlungsbefugnisse nachvollziehbar sei, handele es sich um ei...