1 Kindesunterhalt
KG, Beschl. v. 16.4.2023 – 16 WF 19/23
1. Das Risiko, dass ein (angeblich eingereichter) Schriftsatz bei Gericht nicht ankommt, ist uneingeschränkt vom Beteiligten zu tragen, weil er die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass seine Einwendungen rechtzeitig bei Gericht eingegangen sind.
2. Auch wenn im vereinfachten Unterhaltsverfahren das Formular mit den Einwendungen des Antragsgegners weder datiert noch unterzeichnet wurde, liegt dennoch eine im Sinn von § 252 FamFG zulässige Einwendung vor, wenn aus dem ausgefüllten Formular alle für die Erfüllung seines Zwecks erforderlichen Angaben eindeutig hervorgehen und zusätzlich, als Beleg zu den gemachten Angaben, eine vollständige Kopie des aktuellen SGB II-Bescheids beigefügt wird, mit dem staatliche Transferleistungen für die Dauer von etwa einem Jahr bewilligt werden.
2 Versorgungsausgleich
OLG Bamberg, Beschl. v. 10.8.2022 – 7 UF 99/22
In Fällen der schuldhaften Verkürzung eigener Versorgungsanwartschaften ist für die Anwendung der Härteklausel nach § 27 VersAusglG regelmäßig ein im Hinblick auf den anderen Ehegatten bewusst treuwidriges, zielgerichtetes Verhalten des Anwartschaftsberechtigten erforderlich. Hat der Ausgleichsberechtigte schuldhaft und in strafbarer Weise den Verlust seiner Pensionsansprüche herbeigeführt, weil er wegen Überforderung jahrelang systematisch Akten und Aktenteile der dienstlichen Verfügung entzogen und diese verbotswidrig in seinem Wohnhaus oder einem abgeschlossenen Schrank in seinem Büro versteckt hat, so widerspricht die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht dem gesetzlichen Grundgedanken. Der andere Ehegatte hat vielmehr an der negativen Karriereentwicklung zu partizipieren, wie er auch an einer positiven Entwicklung der beruflichen Laufbahn teilgehabt hätte. Dies gilt erst recht, wenn sich die Eheleute erst viele Jahre nach den Straftaten und der Verurteilung getrennt haben. (red. LS)
3 Sorge- und Umgangsrecht
KG, Beschl. v. 24.8.2022 – 16 UF 64/22
1. Bei einer Religionszugehörigkeit eines Elternteils zu den Zeugen Jehovas kann die Frage einer konkret nicht anstehenden Bluttransfusion nicht durch Übertragung der Entscheidungsbefugnis nach § 1628 BGB oder durch Übertragung eines Teils der elterlichen Sorge nach § 1671 BGB auf den anderen Elternteil nicht abstrakt und vorab geklärt werden.
2. Aus der grundsätzlich ablehnenden Haltung eines Elternteils gegenüber Bluttransfusionen kann nicht abstrakt im Vorfeld geschlossen werden, dass dieser sich bei nicht hinreichenden alternativen Behandlungsmethoden auf Kosten der Gesundheit oder des Lebens seines Kindes auch unter Berücksichtigung des heranreifenden Kindes gegen eine Bluttransfusion entscheiden würde.
3. Die Einwilligungsfähigkeit hinsichtlich einer ärztlichen Behandlung oder eines ärztlichen Eingriffs ist bei Jugendlichen in aller Regel erst ab dem 14. Geburtstag anzunehmen.
4. Im Notfall, also einem akuten und unaufschiebbaren Eingriff, wird sich das behandelnde ärztliche Personal am mutmaßlichen Willen des Patienten bzw. seiner Eltern orientieren. Ist der mutmaßliche Wille nicht zweifelsfrei zu ermitteln, ist zu vermuten, dass eine erforderliche Bluttransfusion oder die Verabreichung anderer Blutprodukte im wohlverstandenen Interesse des Patienten liegt.
5. Widerspricht ein allein vertretungsberechtigter Elternteil aus religiösen Gründen einer zwingend erforderlichen Transfusion, wäre das Familiengericht gemäß § 1666 Abs. 1, 3 BGB anzurufen, da eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge im Raum stünde. Im Notfall ist eine gerichtliche Entscheidung nicht abzuwarten; vielmehr ist der Arzt dann verpflichtet, das Leben und die Gesundheit des Kindes durch medizinisch notwendige Maßnahmen zu schützen.
(red. LS)
OVG Magdeburg, Urt. v. 22.11.2022 – 4 L 277/21
Die Entscheidung des Familiengerichts, einer Großmutter die elterliche Sorge für ihre minderjährigen Enkelkinder nach § 1630 Abs. 3 BGB zu übertragen, entfaltet hinsichtlich ihrer persönlichen Eignung keine Bindungswirkung im Verfahren nach § 27 Abs. 1 S. 1, Abs. 2a SGB VIII.
2. Zum Umfang der Mitwirkungspflicht bei der Prüfung der Eignung der Pflegeperson im Rahmen der Verwandtenpflege.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 10.2.2023 – 15 UF 267/22
1. Eine widerrechtliche Kindesentführung innerhalb Deutschlands hat nicht einen automatischen Rückführungsmechanismus zur Konsequenz.
2. Hat ein Elternteil einen Umzug innerhalb Deutschlands gegen den Willen des anderen Elternteils vollzogen, so ist dies zum Ausgangspunkt der Sorgerechtsentscheidung zu nehmen. Es ist weder auf eine Rückkehr noch auf einen Nachzug des anderen Elternteils abzustellen, auch wenn die räumliche Nähe zu beiden Eltern dem Kindeswohl am besten entspräche.
3. Die Entscheidung, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht gemäß § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB zu übertragen ist, ist allein am Kindeswohl auszurichten und hat die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie den Kindeswillen. Dabei ergibt sich aus dem Wegzug mit den ...