1. Wird im Eilverfahren die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes begehrt und erweist sich die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache nicht von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet, ist bei der gebotenen Folgenabwägung ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Ein Gesetz darf nur dann vorläufig am Inkrafttreten gehindert werden, wenn die Nachteile, die mit seinem Inkrafttreten nach späterer Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit verbunden wären, in Ausmaß und Schwere die Nachteile deutlich überwiegen, die im Falle der vorläufigen Verhinderung eines sich als verfassungsgemäß erweisenden Gesetzes einträten. Bei dieser Folgenabwägung sind die Auswirkungen auf alle von dem Gesetz Betroffenen zu berücksichtigen, nicht nur Folgen, die sich für die Beschwerdeführer ergeben (vgl. BVerfG v. 4.5.2012 – 1 BvR 367/12, BVerfGE 131, 47 <61>; BVerfG v. 28.4.2020 – 1 BvR 899/20 Rn 10). (Rn 10)

2. Ziel des Masernschutzgesetzes ist namentlich der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit, zu dem der Staat prinzipiell auch kraft seiner grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG angehalten ist. Bei Gegenüberstellung der jeweils zu erwartenden Folgen muss das Interesse der Antragsteller, ihre Kinder ohne Masernschutzimpfung in einer Gemeinschaftseinrichtung betreuen zu lassen beziehungsweise selbst dort betreut zu werden, gegenüber dem Interesse an der Abwehr infektionsbedingter Risiken für Leib und Leben einer Vielzahl von Personen zurücktreten. Die Nachteile, die mit Inkrafttreten der angegriffenen Regelungen des Masernschutzgesetzes nach späterer Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit verbunden wären, überwiegen in Ausmaß und Schwere nicht – und schon gar nicht deutlich – die Nachteile, die im Falle der vorläufigen Verhinderung eines sich als verfassungsgemäß erweisenden Gesetzes einträten. (Rn 15) (Rn 16)

BVerfG, Beschl. v. 11.5.2020 – 1 BvR 469/20 und 1 BvR 470/20

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge