BVerfG weist Eilanträge gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht ab
Das BVerfG hat in seiner Eilentscheidung ausdrücklich die Frage offengelassen, ob die Rechtsvorschriften zur Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht zum 15.3.2022 verfassungswidrig sind. Das höchste deutsche Gericht hat in seinem Beschluss lediglich die Rechtsfolgen einer Außervollzugsetzung der Impfpflicht mit den Rechtsfolgen einer ablehnenden Entscheidung abgewogen und letztere als weniger gravierend eingestuft.
Rechtsgrundlage der einrichtungsbezogenen Impfpflicht
Gemäß im Dezember 2021 von Bundestag und Bundesrat beschlossenem § 20a IfSG besteht für die in bestimmten Einrichtungen oder Unternehmen des Gesundheitswesens und der Pflege tätigen Personen ab dem 15.3.2022 eine Pflicht, den Nachweis zu erbringen, entweder geimpft oder genesen zu sein. Im Fall einer medizinischen Kontraindikation für eine Impfung, muss der Betroffene einen medizinischen Nachweis für die Kontraindikation vorlegen.
Beschwerdeführer aus Pflegeberufen
Die meisten Beschwerdeführer gehören medizinischen und pflegerischen Berufen an und sind nicht geimpft. Einige waren allerdings bereits an Covid-19 erkrankt. Mit ihren Eilanträgen begehrten sie beim BVerfG die Außervollzugsetzung des § 20a Abs. 1 Satz 1 IfSG, also der einrichtungsbezogenen Impfpflicht.
Die Verfassung lässt einrichtungsbezogene Impfpflicht grundsätzlich zu
Das BVerfG hat die Anträge auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Das Gericht hat hierbei allerdings die Frage der Verfassungsgemäßheit der gesetzlichen Grundlage ausdrücklich offengelassen und diese teilweise auch infrage gestellt. Dabei begegnet die Einführung der einrichtungsbezogenen Pflicht zum Nachweis einer durchgeführten Impfung bzw. Genesung gemäß § 20a IfSG als solche nach Auffassung der Verfassungsrichter keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Nach der Stellungnahme diverser Sachverständiger sei die einrichtungsbezogene Impfpflicht geeignet, sowohl das in den betroffenen Einrichtungen tätige Personal als auch die dort versorgten vulnerablen Gruppen vor den Gefahren einer Ansteckung mit dem Covid-19-Virus zu schützen.
Impfung schützt auch gegen Omikron
Dieser Schutz gilt nach der Einschätzung des BVerfG auch im Hinblick auf die derzeit herrschende Omikron-Variante, da nach Stellungnahme der Sachverständigen zwar auch geimpfte Personen das Virus weitertragen können, bei ihnen die Viruslast aber in der Regel deutlich geringer als bei ungeimpften Personen und die Dauer der Infektiosität deutlich kürzer ist.
Verfassungsrechtliche Zweifel an der gesetzlichen Regelungstechnik
Allerdings äußerte das BVerfG erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungstechnik des § 20a IfSG. Die Vorschrift enthalte nämlich eine doppelte dynamische Verweisung zur Konkretisierung der Anforderungen an den vorzulegenden Impf- und Genesenennachweis. § 20a IfSG verweise nämlich zunächst auf die Covid-19-Schutzmaßnahmen-AusnahmeVO, die ihrerseits wieder auf die Internetseiten des Paul-Ehrlich-Instituts und des RKI verweist. Der Senat äußerte insoweit Zweifel, ob die Verweisung auf die namentlich in Bezug genommenen Regelwerke diverser Bundesinstitute im Gesetz eine hinreichende Grundlage findet. Die Verfassungsrichter schließen insoweit allerdings nicht völlig aus, dass hierfür ein sachlich und rechtlich tragfähiger Grund gegeben sein könnte. Diese Frage könne aber nur in einer ausführlichen rechtlichen Klärung im Hauptsacheverfahren rechtssicher beantwortet werden.
Entscheidung auf Grundlage einer Rechtsfolgenabwägung
Infolge der nur einem Hauptsacheverfahren zugänglichen schwierigen Rechtsfragen hat das BVerfG über die eingereichten Anträge im Wege einer Rechtsfolgenabwägung entschieden. Dabei kamen die Richter zu dem Ergebnis, dass die möglichen schädlichen Effekte im Falle einer Stattgabe der eingereichten Anträge schwerwiegender sind, als im Falle ihrer Abweisung.
Keiner wird zur Impfung gezwungen
Nach Auffassung der Verfassungsrichter bestehen die Nachteile bei Einführung einer Impfpflicht zum 15.3.2022 in erster Linie in der grundsätzlich bestehenden Möglichkeit schwerwiegender Impfnebenwirkungen, die im extremen Ausnahmefall auch tödlich sein könnten. Insoweit sei aber zu berücksichtigen, dass das Gesetz die Betroffenen nicht zur Impfung zwinge. Wer partout nicht geimpft werden wolle, könne dies vorübergehend durch einen Wechsel der bislang ausgeübten Tätigkeit oder des Arbeitsplatzes vermeiden. Hierbei seien zwar berufliche Nachteile nicht immer zu vermeiden. Diese seien aber nicht irreversibel. Allein wirtschaftliche Nachteile seien im Hinblick auf die möglichen erheblichen Nachteile für die Gesundheit der Bevölkerung nicht geeignet, eine Aussetzung des Vollzugs der angegriffenen Norm zu begründen.
Erhebliche Gefahren für vulnerable Gruppen
Demgegenüber wiegen nach Auffassung der Verfassungsrichter die Nachteile bei einer Stattgabe des beantragten einstweiligen Rechtsschutzes schwerer. Im Falle einer Außervollzugsetzung der Impfpflicht entstünden erhebliche Gefahren für hochaltrige Menschen, für Menschen mit Vorerkrankungen, mit einem geschwächten Immunsystem oder mit Behinderungen, wenn sie sich mit dem SARS-COV-19-Virus infizieren. Diese Gesundheitsgefahren seien nach der Einschätzung der angehörten sachkundigen Wissenschaftler mit einer erhöhten Mortalität verbunden, würde die einrichtungsbezogene Nachweispflicht außer Vollzug gesetzt.
Mögliche Nachteile einer Außervollzugsetzung deutlich größer
Damit überwiegen nach Einschätzung des BVerfG im Falle einer Außervollzugsetzung der angegriffenen Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache die damit verbundenen Nachteile deutlich die Nachteile, die mit einer Beibehaltung der Regelung verbunden sind. Insbesondere seien die möglichen schwerwiegenden Nebenwirkungen einer Impfung äußerst selten, während im Fall der Außervollzugsetzung die Nachteile für eine große Zahl von Personen wahrscheinlich wäre. Insbesondere für vulnerable Gruppen sei eine möglichst frühzeitige Unterbrechung von Übertragungsketten besonders wichtig. Nach derzeitigem wissenschaftlichen Stand könne die Impfung hierzu immer noch in erheblichem Maße beitragen.
Eilanträge abgewiesen
Im Ergebnis müsse daher im Rahmen der Folgenabwägung das Interesse der Beschwerdeführer gegenüber dem allgemeinen Interesse an einem Schutz der vulnerablen Gruppen vor Ansteckung zurücktreten. Die Anträge auf vorläufige Außervollzugsetzung der einrichtungsbezogenen Impfplicht seien daher abzuweisen.
(BVerfG, Beschluss v. 10.2.2022, 1 BvR 2649/21)
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