Einrichtungsbezogene Corona-Impfpflicht ist verfassungsgemäß

Die Corona-Impfpflicht für das Pflege- und Gesundheitspersonal ist rechtens: Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde gegen die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht zurückgewiesen.

Der Schutz sogenannter vulnerabler Gruppen wiege verfassungsrechtlich schwerer als die Beeinträchtigung der Grundrechte für Mitarbeitende im Pflege- und Gesundheitsbereich, argumentierte das höchste deutsche Gericht in einem am 19.5.2022 veröffentlichten Beschluss. 

Abwägung des Gesetzgebers nicht zu beanstanden

Zwar liege ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit vor, räumten die Karlsruher Richterinnen und Richter ein. Alternativ bleibe nur, den Beruf nicht mehr auszuüben oder den Arbeitsplatz zu wechseln. Doch die Abwägung des Gesetzgebers, «dem Schutz vulnerabler Menschen den Vorrang vor einer in jeder Hinsicht freien Impfentscheidung» zu geben, sei nicht zu beanstanden.

Die angegriffenen Vorschriften verletzen die Beschwerdeführenden nicht in ihren Rechten insbesondere aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG, so der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts. Soweit die Regelungen in die genannten Grundrechte eingreifen, sind diese Eingriffe verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat im Rahmen des ihm zustehenden Einschätzungsspielraums einen angemessenen Ausgleich zwischen dem mit der Nachweispflicht verfolgten Schutz vulnerabler Menschen vor einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 und den Grundrechtsbeeinträchtigungen gefunden.

Trotz der hohen Eingriffsintensität, die § 20a IfSG bewirkt, müssen die grundrechtlich geschützten Interessen der im Gesundheits- und Pflegebereich Tätigen letztlich zurücktreten, so die Richter. 

In die Abwägung ist maßgebend aber auch die besondere Schutzbedürftigkeit derjenigen einzustellen, deren Schutz der Gesetzgeber beabsichtigt. Vulnerable Menschen können sich vielfach weder selbst durch eine Impfung wirksam schützen noch den Kontakt zu den im Gesundheits- und Pflegebereich tätigen Personen vermeiden, da sie auf deren Leistungen typischerweise angewiesen sind. Der sehr geringen Wahrscheinlichkeit von gravierenden Folgen einer Impfung stehe im Ergebnis die deutlich höhere Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung von Leib und Leben vulnerabler Menschen gegenüber, argumenterten die Richter.

Mildere Omikron-Variante kein Grund für andere Beurteilung

Auch die weitere Entwicklung des Pandemieverlaufs ist laut der Mitteilung des Bundesverfassungsgerichts kein Grund, von der Beurteilung abzuweichen. Angehörte Fachgesellschaften seien der Meinung, dass die Krankheitsverläufe im Zuge der Omikron-Variante des Coronavirus zwar im Schnitt milder seien - sich «die Zusammensetzung der Risikogruppen und ihre grundsätzlich höhere Gefährdung aber nicht verändert habe» (BVerfG, Beschluss v. 27.4.2022, 1 BvR 2649/21).

Keine Verletzung der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG

Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass keine Verletzung der Berufsfreiheit vorliege. Soweit die einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht als eine berufliche Tätigkeitsvoraussetzung ausgestaltet ist, gewährt Art. 12 Abs. 1 GG keinen weitergehenden Schutz als das höchstpersönliche Rechtsgüter schützende Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

Impfung soll alte und geschwächte Menschen schützen

Die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht soll alte und geschwächte Menschen vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus schützen. Sie haben ein besonders hohes Risiko, sehr schwer zu erkranken oder daran zu sterben. Beschäftigte in Pflegeheimen und Kliniken, aber zum Beispiel auch in Arztpraxen und bei ambulanten Diensten, Hebammen, Masseure und Physiotherapeuten mussten bis zum 15. März nachweisen, dass sie voll geimpft oder kürzlich genesen sind. Neue Beschäftigte brauchten den Nachweis ab dem 16. März.

Fehlt er, muss die Einrichtung das Gesundheitsamt informieren. Es kann den Betroffenen verbieten, ihre Arbeitsstätte zu betreten oder ihre Tätigkeit weiter auszuüben. Für Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, gilt eine Ausnahme.

Gesetz zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht war nachgebessert worden

Im Eilverfahren hatte der Erste Senat des Verfassungsgerichts im Februar zwar die Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht nicht gestoppt. Er merkte aber kritisch an, dass im damaligen Gesetz nichts Genaueres zum Impf- und Genesenennachweis stehe. Es werde bloß auf eine Verordnung mit weiteren Verweisen auf Internetseiten des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert Koch-Instituts (RKI) verwiesen. Da das Gesetz aber während des Beschwerdeverfahrens geändert wurde und ein neuer Paragraf zur Definition des Impf- und Genesenennachweises eingeführt wurde, äußerte sich das Gericht nun nicht mehr zur Frage des Verweises auf Institutionshomepages.

Die Verabschiedung der speziellen Impfpflicht in Bundestag und Bundesrat hatte eine Klagewelle ausgelöst: In Karlsruhe gingen Dutzende Verfassungsbeschwerden von Hunderten Klägerinnen und Klägern ein. Überwiegend waren es ungeimpfte Beschäftigte sowie Leiter von Einrichtungen, die weiter ungeimpftes Personal beschäftigen wollen.

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dpa, PM BVerfG

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