Als sich im Frühjahr 2020 das Sars-CoV2-Virus in Deutschland zunehmend auszubreiten begann, stellte das auch die Justiz vor völlig neue Herausforderungen. Einerseits durften Gerichte nicht zum Treiber der Pandemie werden, auch mussten Rechtssuchende und Beschäftigte gleichermaßen vor der Ansteckung geschützt werden. Andererseits wurde schnell deutlich, dass die dritte Gewalt nicht beliebig "heruntergefahren" werden darf, da sie dafür sowohl gesellschaftlich als auch volkswirtschaftlich zu bedeutend ist. Neue Formen der Rechtsgewährung mussten gefunden werden, um diesen Spagat zu bewältigen. Schnell geriet dabei die Möglichkeit der Gerichtsverhandlung per Videokonferenz in den Blickpunkt, die bis dahin u.a. in §§ 128a ZPO, 32 Abs. 3 FamFG einen langen Dornröschenschlaf gehalten hatte. Gegen diese Form der Verhandlung bestanden von Anfang an Bedenken, wie sie für die eher konservative Justiz nicht untypisch sind. Ein großes Hindernis bildete auch die damalige technische Ausstattung der Gerichte, mit der eine zufriedenstellende Verhandlung auf diesem Weg nur unzureichend möglich war. Aktuell liegt ein Regierungsentwurf zur Stärkung von Videoverhandlungen an den Zivilgerichten vor. Der diesem vorausgegangene Referentenentwurf war in Wissenschaft und Praxis zum Teil auf Zustimmung, in weiten Teilen aber auch auf Ablehnung gestoßen; darauf wird im Folgenden in einigen Punkten eingegangen.
Entgegen vielen Bedenken setzt sich die hybride Videoverhandlung, also die Verhandlung unter Zuschaltung von einem oder mehreren Beteiligten mittels Videokonferenzsoftware, in Familiensachen als Alternative zur reinen Präsenzverhandlung mittlerweile zunehmend durch. Das verwundert nicht, bietet sie doch über den Infektionsschutz in Zeiten der epidemischen Lage nationaler Tragweite hinaus weitere Vorteile: Sie erspart z.B. Reisekosten und -zeiten und den aufwändigen Versand von Gerichtsakten für Rechtshilfeersuchen, verschafft dem erkennenden Gericht einen besseren persönlichen Eindruck von den teilnehmenden Personen als die Anhörung/Vernehmung durch einen ersuchten Richter und kann in Fällen der Bedrohung eines Beteiligten einen Beitrag zu seinem Schutz vor Übergriffen bieten. Perspektivisch ermöglicht sie völlig neue Formen von Gerichtsverfahren. Diesen Vorteilen stehen derzeit noch Hindernisse gegenüber, die zum Teil durch bessere Technik und schlichte Übung behoben werden können, zum Teil aber auch auf berechtigte juristische Bedenken zurückgehen. In die erste Kategorie fallen Berührungsängste, die sowohl in der Richterschaft als auch bei den Verfahrensbeteiligten festzustellen sind. Auch ist den eher skeptischen Literaturstimmen darin zuzustimmen, dass einerseits die Technik der Videoverhandlung auch im Jahr 2023 noch verbesserungswürdig und kein "Allheilmittel" ist und sich die juristischen Professionen andererseits noch an diese Art der Verhandlung werden gewöhnen müssen, wenn sie sich ihren Platz im juristischen Alltag erobern soll. Dennoch scheint die geäußerte Kritik teilweise auch auf einer allgemein geringen Aufgeschlossenheit gegenüber Neuerungen zu beruhen, etwa wenn ein Beitrag aus dem Jahr 2020 ausführlich die Nachteile der Videokonferenz darstellt und dafür maßgeblich eine im Jahr 2012 fertiggestellte Dissertation als Quelle heranzieht. In diesen Zeitraum fiel nicht nur eine bedeutende technische Entwicklung, sondern – gerade in den letzten Jahren – auch eine deutliche Verbreitung von und damit einhergehende Gewöhnung an Videokonferenzen in zahlreichen Lebenssituationen. Beide Aspekte und weitere Modernisierungsschritte – z.B. die anstehende flächendeckende Einführung elektronischer Gerichtsakten – lassen erwarten, dass die Verhandlung per Bild- und Tonübertragung in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen wird. Einige rechtliche Fragen in diesem Zusammenhang werden im Folgenden erörtert.